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Kultur: Shlomos Nacht

Episch: „Geh und lebe“ von Radu Mihaileanu

Wer ihn gesehen hat, vergisst ihn nicht. Vor sechs Jahren kam mit „Zug des Lebens“ ein Film von geradezu Lubitsch’schem Format ins Kino: die sehr sanfte, sehr komische Geschichte der Bewohner eines rumänischen Schtetls, die sich mit verteilten Rollen – hier SS-Schergen, dort Juden – in einem Güterzug zum Schein selber ins KZ deportieren; dabei ging es über eine schimärenhafte Grenze ins sichere Israel. Der Film war ein Märchen aus den Zeiten des Holocaust wie Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ (1998). Anders aber als der Welthit des Italieners, der in den Kulissen eines Lagers ein verzweifelt lustiges Kasperletheater mit tödlichem Ausgang inszenierte, mündet die Satire des rumänischen Juden Mihaileanu in ein lineares und zugleich erschütterndes Happyend. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann tanzen sie heute noch.

An seinem neuen Spielfilm hat Radu Mihaileanu viele Jahre gearbeitet – äußerst beharrlicher Einsatz für einen diesmal durchweg ernsthaften, ja epischen Wurf. „Geh und lebe“ schildert Kindheit und Jugend eines Migranten an der Schwelle des neuen Jahrtausends, inszeniert seine Story eigentlich aber als Metapher auf die jüdische Diaspora – und das im Israel der jüngsten Vergangenheit. Der neunjährige Shlomo, der Mitte der achtziger Jahre aus einem sudanesischen Flüchtlingslager nach Israel ausgeflogen wird, ist zwar gar kein Jude, sondern Sohn einer äthiopischen Christin; im schützenden Zielland Israel aber muss er sich als Jude ausgeben. Als Schwarzer und als Christ ist er doppelt Außenseiter: innerlich, weil er im Bewusstsein der Tarnung aufwächst, äußerlich, weil die Israelis den afrikanischen Einwanderern, ähnlich den russischen, mit Misstrauen und gar Verachtung begegnen: Reisen diese Flüchtlinge womöglich nur auf dem Juden-Ticket, um sich in (wirtschaftliche) Sicherheit zu bringen?

Radu Mihaileanu, in Rumänien geboren und in Frankreich lebend, erkundet in „Geh und lebe“ seine Sehnsuchtsheimat Israel auf erhellende Weise neu. Das Land, in dem das Kind unter dem von der Einwanderungsbehörde verfügten Namen Shlomo in einer Pflegefamilie aufwächst, ist fremdenfeindlich und gastfreundlich, borniert fundamentalistisch und integrationswillig. Shlomo, der auf dem Fußboden schläft und sich nach der Schule verstohlen die Turnschuhe auszieht, um barfuß über sonnenverbrannte Brachflächen nach Hause zu gehen, wird als Neger beschimpft. Er erfährt aber auch Aufgeschlossenheit, Ermutigung und Wärme. Eines Tages muss er sein Geheimnis preisgeben. Wo ist der Mensch zu Hause?, fragt der Film. Die stille Antwort: Wo er verstanden wird. Liebe macht die Sache natürlich noch besser.

Und doch, „Geh und lebe“ ist insgesamt mühselig geraten. Nicht nur, weil Mihaileanu erst trödelt und dann die Stationen des Erwachsenwerdens im Zeitraffer abhandeln muss; zwischen pathetischem Anfang und Ende sind leider auch viele Alltagsszenen von der Anstrengung gezeichnet, ihrem jeweiligen Gegenstand ein Äußerstes am Emotion abzutrotzen. Hinzu kommt, mitten im modernen Israel, ein Familienrollenverständnis, das archaisch gemeint sein mag und doch eher antiquarisch daherkommt. Dem internationalen Erfolg des Films – viele Publikumspreise auf Festivals belegen es – hat es keinerlei Abbruch getan.

Cinema Paris, Hackesche Höfe (jeweils teils OmU); FT Friedrichshain

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