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Kultur: Sie träumt

Welche lebende Pianistin entspräche mehr dem Bild einer romantischen Künstlerin als die Russin Elisabeth Leonskaja? Den Blick ganz Elegie huscht sie in ihrem schwarzen Taftkleid aufs Philharmonie-Podium und beginnt an ihrem Flügel zu träumen.

Welche lebende Pianistin entspräche mehr dem Bild einer romantischen Künstlerin als die Russin Elisabeth Leonskaja? Den Blick ganz Elegie huscht sie in ihrem schwarzen Taftkleid aufs Philharmonie-Podium und beginnt an ihrem Flügel zu träumen.Vehikel ihrer Träumerei ist Schumanns Klavierkonzert, das so einen improvisatorischen Anstrich erhält.Wohl selten hat ein Interpret das Konzert so in seine Extreme getrieben, die Melodiefäden so haarfein ausgesponnen, um aus diesen Idyllen immer wieder mit erbitterter Geste aufzufahren.Im Kopfsatz, den Schumann zunächst isoliert als Konzertfantasie schrieb, führt dieser Belastungstest zu einer Wiedergabe von seltener poetischer Intensität.Leonskaja ist eine Tastenmelancholikerin, der das Ausloten von Seelenabgründen und inneren Nachtstimmungen seit jeher mehr gelegen hat als virtuose Brillanz und Solistenüberschwang.Fast vorhersehbar, daß das Finale des Schumann-Konzerts ihr am wenigsten liegen würde.Auch hier insistiert sie auf der Kontrastdramaturgie der Motive, verliert darüber aber den vorantreibenden Impetus aus dem Blick.Sie ist wohl doch eher eine Solo- als eine Konzertpianistin, wie ihre wunderschön gespielte Mozart-Zugabe bekräftigt.Allein träumt es sich schöner.Schon zeigt sich Ulf Schirmer als sensibler Begleiter, der Leonskajas eigenwillige Ritardando-Ideen aufs Orchester umzusetzen versucht.Versucht, denn etliche Musiker des Deutschen Sinfonie-Orchesters verweigern sich dem Dirigenten.Vor allem die Violinen spielen so falsch, daß es ihnen eigentlich vor dem Publikum und dem Gebührenzahler, der sie alle ernährt, peinlich sein sollte.Zugegeben, Schirmers hektisches Gefuchtel mit der Linken, sein impulsives Aufstampfen können nerven, ein Konzertorchester wie das DSO sollte jedoch auch in solchen Fällen seinen spieltechnischen Standard aufrechterhalten.Von Bruckners sechster Sinfonie bleiben so nur Eckwerte, die neugierig machen.Schirmers Bruckner ist von klassischer Kontur, straff in den Tempi, von metronomischer Unerbittlichkeit.Modern, grell und motorisch klingt das, das markerschütternde Einheitsfortissimo der Blechbläser gewinnt eine bedrohliche Qualität.Ein Bruckner des Industriezeitalters, den man gerne mit einem motivierteren Orchester gehört hätte.

JÖRG KÖNIGSDORF

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