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Kultur: Silberfinger

Nicola Kuhn freut sich über Aldi und den Coup mit der Kunst Diese frohe Botschaft hat Deutschlands Haushalte schon vor Beginn der Adventszeit erreicht: Für nur 11,99 Euro ist beim Lebensmittel-Discounter Aldi die Heilige Schrift zu erhalten – eingefasst in rotes Lederimitat, fein genarbt und 1300 Seiten stark. Und doch erweist sich die Kundschaft für das Wort Gottes zwischen Lebkuchen und Körnerkissen als noch nicht so recht empfänglich.

Nicola Kuhn freut sich über Aldi

und den Coup mit der Kunst

Diese frohe Botschaft hat Deutschlands Haushalte schon vor Beginn der Adventszeit erreicht: Für nur 11,99 Euro ist beim Lebensmittel-Discounter Aldi die Heilige Schrift zu erhalten – eingefasst in rotes Lederimitat, fein genarbt und 1300 Seiten stark. Und doch erweist sich die Kundschaft für das Wort Gottes zwischen Lebkuchen und Körnerkissen als noch nicht so recht empfänglich. Der Verkauf in den Filialen von Aldi-Nord läuft, wie man hört, erst schleppend an. Das Engagement des Großhändlers ums Seelenheil, um religiöse Erbauung gar, scheint gewöhnungsbedürftig. Dabei wissen auch die Kunden des Kult-Ladens: Der Mensch lebt nicht von Tiefkühlkost allein.

Und weil das so ist, bietet Aldi-Süd mit dem ersten Advent ebenfalls geistige Nahrung zu Billigpreisen an. In 1500 Filialen wird originale Kunst feilgeboten: zwei Offsetdrucke des Documenta- und Biennale-Teilnehmers Felix Droese in 10 000er-Auflage – signiert, datiert und nummeriert wie in einer richtigen Galerie. Doch Aldi wechselt mitnichten in den Kunsthandel über, obwohl sich der Discounter in den vergangenen Jahren mit Champagner und Olivenöl „extra vergine“ auch schon bei Besserverdienern beliebt gemacht hat. Ja, es ist noch nicht einmal sicher, dass sich in wirtschaftlich miserabler Zeit, in der die Kunst leicht den Kürzeren zieht, gerade hier eine kulturelle Alternative eröffnet. Nein, Marketing-Experten haben hier Lunte gerochen: Der Discounter versucht sich vor allem selbst neu in Position zu bringen, weil ihm andere Großhändler wie Penny und Lidl auf den Fersen sind. Der Coup mit der Kunst kommt da gerade recht, wenn nicht nur die Wirtschaftsseiten, sondern auch das Feuilleton über die Konzernstrategie räsonniert.

Warum auch nicht? „Cheap Art“ ist wieder ganz im Trend wie einst in den Sechzigerjahren, als Beuys Multiples für wenige Mark verkaufte und Gerhard Richter Grafiken im Kaufhaus unters Volk brachte. Die Demokratisierung der Kunst war damals erklärtes Ziel, und auch Beuys-Schüler Droese spricht jetzt davon, dass er mit seinen Billig-Bildern die Hierarchien verdrehen will. Nützlicher Nebeneffekt könnte sein, dass die Drucke wie einst bei Beuys und Richter innerhalb kürzester Zeit an Wert gewinnen. All die Arbeit hätte sich dann gelohnt, das tausendfache Signieren einen Sinn gehabt und Droese mit dem Bildtitel „Silberfinger“ sogar kundenfreundlichen Weitblick bewiesen.

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