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Breaking the Silence organisiert Führungen durch das Westjordanland, um auf die Zustände in den besetzten Gebieten aufmerksam zu machen.

© Real Fiction

„Silence Breakers“ im Kino: Verräter oder Patrioten?

Breaking the Silence kritisiert das militärische Vorgehen in den besetzten Gebieten. Silvina Landsmanns Dokumentarfilm begleitet die kontroverse Arbeit der israelischen NGO.

Vom Schweigen im israelischen Diskurs ist viel die Rede in diesem Film, aber über Breaking the Silence wird in den Foren der öffentlichen Meinung eigentlich intensiv gestritten. Die Abgeordneten der Knesset rufen in einer Plenarsitzung über die NGO wild durcheinander. Auf der Straße in Tel Aviv müssen sich deren Mitglieder an einem Infostand wüste Beleidigungen anhören. Und selbst in den teaminternen Meetings der Organisation geht es lautstark zur Sache.

Breaking the Silence wurde 2004 von ehemaligen Soldaten der israelischen Verteidigungsstreitkräfte gegründet. Mit den Jahren hat sich die NGO nicht nur mit Kritik an Militärpraktiken hervorgetan, sondern ist zu einer vor allem international einflussreichen Stimme gegen die Besatzungspolitik des Landes geworden, auf die sich Regierungen und nicht-staatliche Akteure aus dem Ausland regelmäßig beziehen. Tatsächlich stammt mehr als die Hälfte des Jahresbudgets aus Fördermitteln ausländischer Regierungen, vornehmlich aus Europa, wie die NGO selbst auf ihrer Website transparent macht.

„Silence Breakers“ von Silvina Landsmann blickt zu einer turbulenten Zeit ins Innere dieser politischen Institution. Ein Großteil des Films wurde schon 2016 gedreht, als die Regierung von Benjamin Netanjahu auf legislativem und juristischem Wege deren Arbeit zu beschneiden versuchte. Aus diesem Grund geht es viel um Selbstbild und PR-Strategien im Krisenmodus, aber die drei Säulen ihrer Arbeit sind im Film ebenfalls zu sehen.

Vor allem sammelt Breaking the Silence Aussagen ehemaliger Soldatinnen und Soldaten über ihren Dienst in den Palästinensischen Autonomiegebieten und publiziert diese – meist anonym – in umfangreichen Dossiers. Es sind Berichte, die das von der Regierung kolportierte Ideologem einer Armee mit höchsten Moralansprüchen in Frage stellen. In einer Interviewszene schildert eine Veteranin etwa, wie sie ihre Aggressionen routinemäßig an wehrlosen palästinensischen Gefangenen ausließ.

Es gibt auch Kritik an den Recherchen der NGO

Darüber hinaus zeigt der Film Führungen durch die geteilte Stadt Hebron im Westjordanland, wo BtS-Mitglieder einem Bus mit internationalen Touristen ihre Sicht auf die Besatzung nahebringen. Diesen Sequenzen gelingt es präzise, den aufgeladenen Status Quo in den besetzten Gebieten einzufangen. In der verwaisten, durch Checkpoints abgesicherten Altstadt von Hebron wird die Tour – mehr Tirade als Information – kontinuierlich von jüdischen Siedler:innen gestört, während palästinensische Anwohner:innen die Szene aus dem Fenster filmen und die anwesenden Militärs vor laufenden Kameras um stoische Haltung bemüht sind.

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Nicht zuletzt veranstaltet die NGO Vorträge und Ausstellungen im In- und Ausland, begleitend zum deutschen Kinostart von „Silence Breakers“ gibt es etwa eine Fotoausstellung im Kölner Filmhaus. Schon der recht werberische Titel – im Original „The Good Soldier“ –, wirft die Frage nach der Unabhängigkeit der Regisseurin auf. Die Sympathie unter linken israelischen Filmschaffenden ist kein Geheimnis. Bereits im letzten Jahr hat Avi Mograbi, der selbst im Aufsichtsrat der NGO sitzt, ihr Interview-Archiv genutzt für seinen auf der Berlinale präsentierten Essayfilm „The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation“.

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Landsmann vermeidet jedenfalls den Eindruck eines Imagefilms, in dem sie den öffentlichen Meinungsstreit ins Zentrum stellt und der Kritik in Talkshows und Diskussionen viel Raum gibt. Bei genauerem Blick fällt allerdings auf, dass sich hier eher dürftige Argumente von konservativer Seite wiederholen – die NGO schade dem Ansehen Israels und sei quasi eine Bande ausländischer Agenten.

(Seit Donnerstag in den Kinos)

Eine substanzielle Kritik fehlt derweil: Auch 2016, also im Jahr der Dreharbeiten, hatte die israelische TV-Investigativsendung „Hamakor“ anhand von Stichproben Zweifel an der faktischen Genauigkeit mancher Zeugenaussagen erhoben. Überhaupt wäre ein Blick hinter die Kulissen der Interview- und Fact-Checking-Prozesse zu den Aussagen der Soldat:innen enorm interessant gewesen.

Was bleibt, ist der Eindruck, dass – auch aufgrund von Breaking the Silence – vermutlich keine Armee so kritisch von der nationalen und internationalen Öffentlichkeit beäugt wird wie die israelische. Und dass in der israelischen Demokratie trotz starker Polarisierung weiterhin miteinander geredet wird. „Es gibt nichts Extremeres als die Besatzung“, sagt ein BtS-Veteran an einer Stelle. „Es gibt keine Besatzung“, erwidert eine Frau, die sich selbst als konservative Aktivistin bezeichnet. „Wir sollten dieses Gespräch unbedingt fortsetzen.“

Jan-Philipp Kohlmann

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