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Dudamel und Garanca beim Schlussapplaus in der Philharmonie.

© DAVIDS

Silvesterkonzert: Netter die Kastagnetten nie knattern

Elina Granca und Gustavo Dudamel beim Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker.

Es gibt Konzerte, die sind schon fast zu Ende, wenn sie richtig anfangen. Selbst bei den Berliner Philharmonikern. Hübsch harmonisch entfaltet sich das Silvesterprogramm des Orchesters am ersten der drei Abende (noch einmal heute ab 17. 15 Uhr in der ARD sowie umsonst und draußen im Sony-Center): Ein bisschen Berlioz, ein bisschen Saint-Saens, ein bisschen Bizet, alles in sehr handlichen Häppchen serviert, fast schon auf „Klassik Radio“-Niveau.

Die Philharmoniker freilich sind hellwach, stürzen sich mit Gustavo Dudamel in den „Carnaval romain“: Begeistert ergreifen die Bratschen ihre Chance, solistisch zu glänzen, singen mit Inbrunst – und der 29-jährige Dirigent zeichnet geschickt die Dramaturgie der Ouvertüre mit ihren schnellen, filmischen Stimmungsschnitten nach. Bei dem genuinen Musikanten Dudamel ist Berlioz in guten Händen, dieser Komponist, der keine Regeln akzeptierte, schon gar nicht die des sogenannten guten Geschmacks.

Camille Saint-Saens dagegen machte grundsätzlich immer alles richtig. Weshalb das Bacchanal aus seiner Oper „Samson et Dalila“ absolut jugendfrei klingt. Normalerweise. Dudamel aber heizt das harmlose Divertissement nach Kräften erotisch auf, mit rasanten Tempi, Kastagnetten-Geknatter, verführerischen Kantilenen. Das geht zwar auf Kosten der Instrumentationsdetails, überzeugt aber, weil die Philharmoniker voll auf Dudamels heißblütige Deutung einsteigen.

Schade, dass Elina Garanca als Dalila so unerotisch bleibt. Wie zuvor in der Arie aus Berlioz’ „Damnation de Faust“ gestaltet die Mezzosopranistin ihre vokale Linie künstlerisch einwandfrei, aber eben auch künstlich, distanziert, scheint gar nicht mit ihrer natürlichen Stimme zu singen. Die findet sie erst als Carmen. Diese Rolle ist der blonden Lettin hörbar vertraut, ihr Französisch vorbildlich, die Textbehandlung facettenreich. Echtes Gefühl aber vermag sie auch hier nicht zu vermitteln. Um wie viel inniger ist Emmanuel Pahuds Flötenton im Vorspiel zum dritten „Carmen“-Akt, um wie viel leidenschaftlicher der Sound der Philharmoniker im finalen Zwischenspiel! Raffiniert zudem, wie Gustavo Dudamel das Zigeunerlied als großes Crescendo anlegt, die Musiker durch die Strophen von der provozierend langsamen Siesta-Schläfrigkeit bis hin zur wirbelnden Gruppenchoreografie führt.

So freundlich der Applaus im restlos ausverkauften Saal von der ersten Nummer an ist – echte Champagnerstimmung kommt erst jetzt auf. Bei den spanischen Tänzen aus Manuel de Fallas Ballett „El sombrero de tres picos“ fühlt sich Gustavo Dudamel ganz sicher. Das steckt an – und auch das Orchester beginnt zu tanzen. Wieder knattern Kastagnetten, die Rhythmen sind knackig, südländische Klangfarben funkeln. Die Fiesta könnte beginnen – wäre das offizielle Programm nicht just jetzt zu Ende.

Doch Dudamel bringt Elina Garanca wieder mit auf die Bühne, in den prasselnden Beifall hinein platzt eine Zarzuela- Zugabe, komponiert vom Meister der spanischen Operette, Ruperto Chapì. Worum genau es bei „Las hijas del Zebedeo“ geht? Egal, denn die Lettin wirkt plötzlich so gelöst, verströmt Lust und Laune, schmettert sogar ein paar Takte lang in Richtung der Blöcke H und K, die in der sonst so demokratisch angelegten Philharmonie bei Gesangsdarbietungen stark benachteiligt sind. Ja, so hätte man die Stimmung gerne von Beginn an gehabt. Darum legt das Orchester gleich noch eins drauf, lässt sich ein weiteres Mal von Manuel de Falla zum Tanz auffordern, diesmal mit einem Stück aus seiner Oper „La vida breve“.

Draußen, im Eiswind, weicht die Beschwingtheit schnell wieder der Ernüchterung. Wie serviert man ein gutes Silvestermenü? Reicht wirklich ein Tellerchen voller hors d’œuvres? Wenigstens ein Werk von Substanz dürfte schon dabei sein. Das Fernsehen kann sich dann ja ausblenden.

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