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Der Beginn eines langen Abschieds. Simon Rattle nimmt in seiner letzten Berliner Saison mit den Philharmonikern lauter Lieblingsstücke ins Programm.

© Berliner Philharmoniker/Monika Rittershaus

Simon Rattle vor dem Abschied aus Berlin: Und er sah, dass es gut war

Letzte Runde: Festlich starten Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker mit Haydns „Schöpfung“ in die Saison.

Das war nun also der Anfang vom Ende. Am Freitag hat Simon Rattle tatsächlich seine letzte Spielzeit bei den Berliner Philharmonikern eröffnet. Parallel tritt er aber bereits auch seinen neuen Job als music director des London Symphony Orchestra an. In der vom Brexit gebeutelten britischen Hauptstadt setzt man die allergrößten Erwartungen in den Heimkehrer, dort will und soll er neue Energien entfesseln, den Musikerinnen und Musikern möglichst viel von dem vermitteln, was er in Sachen Klangkultur und interpretatorischer Tiefe seit 2002 bei den Philharmonikern kennengelernt hat.

Lauter Lieblingsstücke

In Berlin dagegen hat sich Sir Simon für seine Finalsaison noch einmal lauter Lieblingsstücke gewünscht, beginnend mit Joseph Haydns „Schöpfung“. Und die Berliner haben ihm die Auswahl gerne gewährt, besonders im Fall des optimistischen Oratoriums von der Entstehung der Welt, war doch Rattles Haydn-Kompetenz einst ein entscheidender Grund dafür, dass der Brite von dem stolzen Ensemble zu Claudio Abbados Nachfolger gewählt wurde.

In der vergangenen Woche waren Rattle und seine Londoner bei den Proms in der Royal Albert Hall zu Gast, wo sie Schönbergs monumentale „Gurrelieder“ aufgeführt haben. Sobald der Dirigent die jetzt anstehende Spätsommertournee mit den Berlinern absolviert hat, bei der neben Luzern und Salzburg diesmal auch Paris auf dem Plan steht, wird er sich wieder in den Flieger setzen. Nämlich um im Barbican Centre, dem ungeliebten Stammsitz des London Symphony Orchestra, Stargast und Hauptakteur des Willkommensfestivals „This is Rattle“ zu sein. Elgars „Enigma Variations“ wird er dann leiten, sein signature piece „Sacre du printemps“, Berlioz „La Damnation de Faust“ – und zur Eröffnung einen Abend, bei dem vier der fünf gespielten Komponisten Zeitgenossen sind.

Neues zu wagen war auch in Berlin stets Rattles Credo, er hat das Repertoire der Philharmoniker in jede nur erdenkliche Richtung erweitert und dabei auch, mit wechselnder Fortüne, versucht, den Berlinern lebende britische Tonsetzer nahezubringen. In seiner Abschiedssaison nun will er gleich einen ganzen Teller voll „musikalischer Tapas“ kredenzen, wie er die kurzen Uraufführungen nennt, die das Orchester ihm zuliebe in Auftrag gegeben hat.

Goldglanz der Akkorde

Allenfalls ein Gruß aus der Küche ist das „Kleine symphonische Gedicht“ von Georg Friedrich Haas, das am Freitag mit höflichem Applaus quittiert wird. Der Komponist selber ist noch nicht einmal angereist, um in der Praxis die Wirkung seines Werkes zu überprüfen, das harmonisch anhebt, dann aber sofort ins Dissonante kippt. Reibungsflächen der Streicher werden von Interventionen der Pauke und des schweren Blechs strukturiert, mal ballt sich der Klang zum Fliegenschwarm, dann taucht, goldglänzend, der Anfangsakkord wieder auf, bevor, nach einem finalen Anschwellen, abrupt Schluss ist.

Eine Petitesse, die schon wieder vergessen ist, wenn Sir Simon auf ungemein packende Weise nachzeichnet, wie Joseph Haydn das „Chaos“ in Töne gesetzt hat. Filmmusik avant la lettre ist das, der Komponist reizt hier aus, was an harmonischer Gewagtheit 1798 möglich war. Und Simon Rattle animiert die Philharmoniker, für das Publikum von heute hörbar zu machen, wie herausfordernd, wie faszinierend diese regellosen, archaischen Klänge auf das Publikum von damals gewirkt haben.

Viele Naturlaute werden im Verlauf der kommenden 105 Minuten noch zu hören sein, Donnergrollen und Löwengebrüll setzt Haydn tonmalerisch getreu um, ja sogar den Sonnenaufgang über dem Garten Eden vermag er Klang werden zu lassen, mit Hilfe von drei Flöten. So lebendig und farbig wie möglich wünscht sich Rattle den naiv-gottesfürchtigen Genesis-Soundtrack, zügig sind seine Tempi, plastisch und scharf konturiert die melodischen Linien - und erfolgreich sein Bemühen, Heiligenbildchen-Kitsch zu vermeiden.

Das Gurren der Turteltauben

Als erfahrener Operndirigent blickt Rattle auf die Partitur, reduziert einerseits in den zartgliedrigen Arien die Zahl der Streicher, scheut sich andererseits aber auch nicht, alttestamentarischen Schlüsselsätzen wie „Du nimmst den Odem weg – zu Staub zerfallen sie“ einen angemessen dramatischen Hallraum zu geben. Und er ermutigt seine Solisten, ebenfalls auf Bühnenwirksamkeit zu setzen. Elsa Dreisig lässt in ihrem mädchenhaften Sopran also stets das gläubige Staunen über die Wunder der Schöpfung mitschwingen und gurrt in ihrem ornithologischen Exkurs über das gefiederte Himmelsvölkchen auch mal nach Art turtelnder Tauben.

Mark Padmore, optisch wie akustisch eine vollendet noble Erscheinung, übernimmt die Rolle des Augenzeugen, schildert die Taten Gottes eloquent nach Art des Botenberichts im antiken Drama, während Florian Boesch den allwissenden Erzähler gibt, aus der Vogelperspektive das Weltgeschehen kommentiert, mit einer Staunen machenden Nuancierungskunst, einer rhetorischen Raffinesse, die durchaus auch mal ins Ironische kippen kann, wenn der Allmächtige mit allzu donaldtrumphafter Selbstzufriedenheit auf sein Werk blickt.

Der von Gijs Leenaars präparierte Rundfunkchor schließlich singt seine Jubelnummern ganz genau so, wie „Schöpfungs“-Librettist Gottfried van Swieten den idealen Menschen beschreibt, nämlich „mit Würd und Hoheit angetan, mit Schönheit, Stärk' und Mut begabt“. Und darum werden die Sängerinnen und Sänger am Ende dieser Lektion in Lebensfreude in der restlos ausverkauften Philharmonie dann auch ganz besonders gefeiert.

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