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Stundenbekannte. Susanne Wolff als Lisa, Moritz Grove als Mark. F: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Simon Stephens „Wastwater“ am Deutschen Theater: Die Unschuldigen vom Lande

Paarreigen: Ulrich Matthes inszeniert „Wastwater“ von Simon Stephens am Deutschen Theater.

Wenn man die Sache prosaisch betrachtet, lässt sich über das Stück „Wastwater“ von Simon Stephens Folgendes sagen: Es treten in ihm Figuren wie zum Beispiel Lisa auf. Sie ist Polizistin und trifft sich für einen Seitensprung mit einem jüngeren Mann in einem Hotel. Aber das ist noch lange, lange nicht alles. Lisa hat früher Heroin genommen, wie sie ihrem bass erstaunten Begleiter mitteilt. Kaum hat er die Nachricht verkraftet, offenbart sie ihm, dass sie, um an Geld zu kommen, auch ein bisschen in Pornos mitgespielt hat. Was fehlt jetzt noch? Es liegt irgendwie auf der Hand: Lisa möchte beim Sex auch ein klitzekleines bisschen geschlagen werden – obwohl, wie sie dem nun doch entsetzten Mark (Moritz Grove) beruhigend versichert, sie eigentlich die Unschuld vom Lande ist und es am allersexiesten findet, sich einfach nur lange in die Augen zu gucken.

Aber die Figuren dürfen bei dem hierzulande viel gespielten britischen Autor Simon Stephens, der unter anderem mit dem Stück „Pornographie“ über die Anschläge auf die Londoner U-Bahn bekannt wurde, eben nicht nur Figuren sein. Sie müssen auch superkrasse Vergangenheiten, hochglanzpolierte Firstclass-Traumatisierungen mit sich herumschleppen, die durch ihre Klischeehaftigkeit auch noch doppelt wiegen. Neben Lisa gibt es da auch das Pflegekind Harry (Thorsten Hierse), das früher Scheunen angezündet hat und später durch einen Verkehrsunfall am Tod eines Freundes schuldig wurde. Und Sian (Elisabeth Müller), auch so eine Pflegetochter, die sich als Erwachsene an den Umständen oder der ganzen Welt für ihr Schicksal rächt, indem sie nun mit Kindern handelt.

Für das Stück spricht, dass Stephens seine drei Paare als durchschnittlich verletzliche und sympathisch verlegene Normalmenschen vorstellt und ihre Beschädigungen und Beziehungen untereinander in homöopathischen Dosierungen bloßlegt und dadurch durchaus zu überraschen vermag. Oder liegt die Tschechow- Verlorenheit dieses kurzen Abends an der Kammer des Deutschen Theaters nur an Ulrich Matthes, der mit „Wastwater“ zum zweiten Mal an seinem Haus Regie führt, zurückhaltend, aber präzise? Die Bühne ist leer, bis auf Lichtgitter an Decke und Boden, die in unterschiedlichen Konstellationen aufleuchten (Bühne: Florian Lösche). Matthes und seine Schauspieler unterstreichen das Vorsichtige und Tastende, die Angst vor Zurückweisung. Barbara Schnitzler, die als Pflegemutter Frieda ihren Pflegesohn Richtung Kanada verabschiedet: In den Pausen zwischen den mütterlichen Ratschlägen ist ihre Untröstlichkeit zu greifen wie der Umschlag mit Geld, den sie Harry noch zusteckt.

Großartig ist Susanne Wolf als Porno- Polizistin Lisa, die ihre Unsicherheit mit einer rührend übertriebenen mondänen Aufmachung kaschiert und in Catherine- Deneuve-Manier mit jeder Offenbarung immer rätselhafter entrückt. Stark sind die drei Anfänge, die schwebenden Annäherungen, als die viel zu vielen Leichen und Schrecklichkeiten, die der überambitionierte Autor seinen Figuren in die Backstories geschrieben hat, noch selig ruhen.
Wieder am 5.5., 8. und 11.5.

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