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Kultur: Sind Filmemacher einsame Menschen, Herr Auster?

PAUL AUSTER, Autor und Regisseur, gilt als einer der vielseitigsten und - vor allem in Europa - erfolgreichsten amerikanischen Autoren der neunziger Jahre.Geboren 1947 in Newark, New Jersey, studierte er an der Columbia University und lebte dann einige Jahre in Paris.

PAUL AUSTER, Autor und Regisseur, gilt als einer der vielseitigsten und - vor allem in Europa - erfolgreichsten amerikanischen Autoren der neunziger Jahre.Geboren 1947 in Newark, New Jersey, studierte er an der Columbia University und lebte dann einige Jahre in Paris.Auster schrieb zunächst Gedichte und übersetzte aus dem Französischen, bevor er mit "Die Entdeckung der Einsamkeit" seinen ersten (autobiographischen) Roman vorlegte.Das Buch erschien in Deutschland allerdings erst, nachdem die Kritik vor allem Austers "New York Trilogie" enthusiastisch gefeiert hatte.Seinen Durchbruch beim Film feierte er vor drei Jahren auf der Berlinale - Auster schrieb die Drehbücher für die beiden von Wayne Wang inszenierten und auf dem Berliner Filmfestival stürmisch gefeierten Filme "Smoke" und "Blue in the Face".Bei "Lulu on the Bridge", der morgen in die deutschen Kinos kommt, hat Auster nun zum ersten Mal selbst Regie geführt.Paul Auster, der mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt verheiratet ist und zwei Kinder hat, lebt in Brooklyn.Mit dem Autor und Filmregisseur sprach Daniela Sannwald.

TAGESSPIEGEL: Paul Auster, in Ihren Büchern geht es oft um die Abwesenheit von Vätern.Sind Sie selbst auch ein abwesender Vater?

AUSTER: Nein, das glaube ich nicht.Ich habe immer versucht, so präsent wie möglich zu sein.

TAGESSPIEGEL: Sie haben oft über die einsame Situation des Schriftstellers geschrieben.Wie ist das beim Filmemachen?

AUSTER: Beim Filmemachen ist man nie allein, aber oft sehr einsam, auch wenn lauter Leute um einen herum sind.Ein Regisseur, besonders wenn er auch das Drehbuch geschrieben hat, ist der einzige, der das ganze Projekt im Kopf hat.Jeder andere Beteiligte hat nur einen bestimmten Job zu erledigen.Mit anderen zusammenzuarbeiten, ist eine relativ neue Erfahrung für mich.Ich finde das sehr stimulierend.Natürlich weiß ich nicht, ob ich das immer könnte.Aber jetzt, nachdem ich es einmal gemacht habe, kann ich sagen, daß ich es gern wieder tun würde, eines Tages.

TAGESSPIEGEL: War das auch eine Art kreativer Erfahrung?

AUSTER: Es ist sehr schön, eine Idee mit anderen zu teilen.Man muß sie so ausführen, daß die anderen sie verstehen können.Noch besser gefallen haben mir Momente, in denen ich meine Idee zu vermitteln versuchte, und die Person, mit der ich sie diskutierte, hatte eine bessere Idee.Das war wirklich großartig.

TAGESSPIEGEL: Was hat Sie ermutigt, ins Regiefach zu wechseln?

AUSTER: Ich habe zwei Jahre mit "Smoke" und "Blue in the Face" verbracht.Das war eine sehr gute Schule für jeden Bereich der Filmproduktion: Geld auftreiben, die Preproduction-Phase, die Scripts für beide Filme entwickeln.Damals wußte ich so gut wie nichts übers Filmemachen, nicht, wie man einen Drehort findet oder Kostümfragen löst, nichts über die Montage oder wie ein Set funktioniert.Und erst recht habe ich von der Technik nichts verstanden.Aber ich war immer dort und habe schnell gelernt.Man braucht dafür kein Genie zu sein.Das meiste ist mechanisch.Aber es gibt Regeln und Prozesse, die man verstehen muß, bevor man selbst Filme machen kann.Das alles habe ich bei Wayne Wang gelernt, und so wußte ich ungefähr, worauf ich mich einließ, als ich mit "Lulu on the Bridge" anfing.

TAGESSPIEGEL: Sie sind eigentlich ein typischer Ostküsten-Intellektueller.Wie kommen Sie damit zurecht, plötzlich ein Medienstar zu sein?

AUSTER: Ich fühle mich nicht recht wohl dabei.Ich weiß nicht, was ich tun soll.Diese Interviews zum Beispiel: Ich weiß, ich muß sie geben, um des Films willen.Wenn ich es nicht täte, hätte der Film sicher kaum Chancen, ein größeres Publikum zu erreichen.Das heißt trotzdem nicht unbedingt, daß der Film ein großer Erfolg wird.Aber ich möchte das machen wegen all der Menschen, die daran mitgearbeitet haben.Trotzdem, ich mag das nicht.

TAGESSPIEGEL: Wenn Sie nicht schon als Schriftsteller ein Star gewesen wären, hätten man Sie wohl auch gar nicht um eine Promotion-Tour gebeten.

AUSTER: Ich betrachte mich selbst nicht als Star.Und ich gehe so selten wie möglich aus.Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, die Arbeit zu tun, die ich tue.Ich kann Ihnen nicht erklären, wie dumm man sich die ganze Zeit fühlt, und was das für ein langwieriger Prozeß ist, bis ich etwas geschrieben habe, das mich befriedigt.Bloß weil man einmal ein Buch geschrieben hat, heißt das nicht, daß man auch ein anderes schreiben kann.Jedes Mal wenn ich ein neues Projekt beginne, muß ich wieder neu lernen, wie diese Arbeit geht, als ob ich es noch nie getan hätte.Man ist verloren, bis man den Ton gefunden hat.Was in einem vorgeht, ist sicher sehr verschieden von allem, was Sie sich vorstellen können.

TAGESSPIEGEL: In Europa gelten Sie als Kult-Figur.Ist das in den USA auch so?

AUSTER: Man hat mir erzählt, daß in New York mehr Bücher von mir als von jedem anderen Schriftsteller geklaut werden.Deshalb müssen Leute, die in einer Buchhandlung ein Buch von mir kaufen wollen, erst zur Kasse gehen.Dort liegen dann meine Bücher unter dem Ladentisch.

TAGESSPIEGEL: Das ist doch sehr schmeichelhaft für Sie.

AUSTER: Ja, irgendwie scheine ich eine Ausstrahlung auf kriminelle Elemente zu haben.

TAGESSPIEGEL: Woran arbeiten Sie im Augenblick?

AUSTER: Ich habe gerade einen Roman beendet, der im Mai erscheinen wird, "Timbuktu".Es geht um einen verrückten, obdachlosen Dichter und seinen Hund.Danach möchte ich gern wieder einen Roman schreiben.Ich hoffe, ich bin bald soweit, damit anfangen zu können.Ich habe sehr lange darüber nachgedacht.

TAGESSPIEGEL: In Ihrem Film "Lulu on the Bridge" spielt ein magischer Stein, der die Protagonistin Celia an die Berliner Mauer erinnert, eine zentrale Rolle.Besitzen Sie ein Stück der Berliner Mauer?

AUSTER: Ja, ich habe sogar zwei verschiedene Stückchen von unterschiedlichen Stellen.Ich hebe sie an einem ganz besonderen Ort auf.

TAGESSPIEGEL: Die Titelheldin Ihres Films heißt Lulu.Was bedeutet der Lulu-Mythos für Sie?

AUSTER: In meinem Film wird ein Remake von "Die Büchse der Pandora" (erste Verfilmung von G.W.Pabst, 1928/29, nach Frank Wedekinds Bühnenstück "Erdgeist" und "Lulu", Anm.d.Red.) gedreht, und es geht um die Geschichte einer Schauspielerin.Deshalb beginnt mein Film mit all diesen Fotos von Schauspielerinnen an der Wand des Jazz Clubs.Das Kino hat schon immer Traumfrauen erfunden, damit Männer ihre Phantasien daran knüpfen können.Das ist eine der Hauptfunktionen des Kinos.Lulu scheint ebenfalls eine solche Figur zu sein, die die Sehnsüchte der Männer um sie herum repräsentiert.Sie ist wie eine Leinwand, auf die die Männer ihre eigenen Bilder projizieren.

TAGESSPIEGEL: Sie haben eine Reihe von Szenen ins Drehbuch geschrieben, in denen der Film im Film - "Die Büchse der Pandora" - gedreht wird.Im Film selbst sind sie nicht mehr vorhanden.

AUSTER: Das war eine Frage des Rhythmus, des Erzähltempos.Als ich diese Szenen geschrieben habe, fand ich sie großartig.Ich dachte, sie würden im Film sehr gut funktionieren und meine Geschichte verstärken - wie ein Echo.Obwohl ich etwa zwanzig Prozent der Drehzeit damit verbracht habe, an diesen Szenen zu arbeiten und die Ergebnisse auch ganz gut waren, schienen sie dann doch die Geschichte eher zu schwächen.Die emotionale Resonanz dieser Szenen funktionierte im Kontext nicht richtig.

TAGESSPIEGEL: Warum haben Sie für die Film-im-Film-Geschichte ausgerechnet den Lulu-Stoff "Die Büchse der Pandora" gewählt?

AUSTER: Ich hatte eine Geschichte in meinem Kopf, aber die war noch ziemlich unausgegoren.Aber dann erzählte mir Wim Wenders vor etwa drei Jahren, daß er mit einer Schauspielerin darüber gesprochen habe, "Lulu" zu verfilmen.Ich selbst hatte die Idee, daß Celia Filmschauspielerin sein mußte, wußte aber nicht, was für einen Film sie spielen sollte.Und dann dachte ich, Lulu könnte eine sehr interessante Figur für sie sein.Wenn ich nicht mit Wenders gesprochen hätte, hätte ich niemals daran gedacht, obwohl ich den Stoff immer mochte.Ich las das Stück vor vielen Jahren als Student.Und ich mochte auch den Pabst-Film mit Louise Brooks - mehr noch ihre Darstellung als den Film, sie ist unglaublich.

TAGESSPIEGEL: Haben Sie Juliette Binoche, die ursprünglich für die Rolle vorgesehen war, beziehungsweise Mira Sorvino nach ihrer Ähnlichkeit mit Louise Brooks ausgewählt?

AUSTER: Überhaupt nicht.Wenn Wenders wie geplant "Lulu on the Bridge" gedreht hätte, wäre Binoche seine Hauptdarstellerin gewesen.Aber als er aus dem Projekt ausstieg, stieg sie schließlich mit ihm aus.So mußte ich eine andere Schauspielerin finden, und mit Mira hatte ich vorher schon gearbeitet.Tatsächlich war es meine Frau, die immer wieder sagte, "sie ist gut, sie wird das hinkriegen".Mira ist wirklich eine sehr mutige, intelligente Schauspielerin.Es war keine einfache Rolle für sie.

TAGESSPIEGEL: Sie haben Willem Dafoe als eine Art dunklen Engel an der Himmelspforte besetzt.Ist das eine Reverenz an Wenders und an Dafoes Rolle in "In weiter Ferne, so nah"?

AUSTER: Nein, daran habe ich nicht gedacht, aber seine Engeldarstellungen sind toll.

TAGESSPIEGEL: Würden Sie wieder einen Film machen? Gibt es schon Ideen?

AUSTER: Ganz bestimmt.Ich habe noch keine Idee.Aber wenn ich eine habe, die vielversprechend erscheint, und wenn ich das Geld dafür auftreiben kann, sie zu realisieren, werde ich das tun.

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