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Kultur: Sind wir noch zu retten?

Kai Müller fragt, was uns der Fall Amy Winehouse lehrt

Als die Limousine vorfährt, sagt das Mädchen im Fond: „I don’t need this.“ Ich brauche das nicht. Alles wird gut, entgegnet der Mann an ihrer Seite und nippt am Whiskeyglas. Er schiebt sie aus dem Wagen, sie klammert sich an ihrem Champagnerglas fest. „Stell dich nicht so an“, ruft er. „Du wirst eine Menge Freundinnen treffen.“ Zwei große Kerle greifen der Frau unter die Arme und führen sie in die Entzugsklinik.

So beginnt das Video zu Duran Durans jüngstem Hit „Falling Down“. Das Einzige, was die Szene von der Wirklichkeit unterscheidet: Es fehlen Fotografen und Kamerateams, um die Einlieferung eines derangierten Opfers der westlichen Exzesskultur publik zu machen. Als Amy Winehouse am Donnerstag in eine Londoner Suchtklinik stolperte, begleitet von ihrem Vater, waren sie natürlich da – und hielten den bestürzenden Auftritt fest. Für die Sängerin, die in ihrem Hit „Rehab“ beteuert, „They try to make me go to rehab, I said no, no, no“, ist es bereits der dritte Besuch einer solchen Einrichtung.

Warum interessiert einen dieser Niedergang? Was haben Britney Spears, Courtney Love und Pete Doherty anderen Menschen voraus, sagen wir, solchen, die eben noch ein ganz beschauliches Leben als vergessener C-Promi führten und sich im nächsten Moment Kakerlaken über das Gesicht laufen lassen? Sicher, Winehouse & Co. sind berühmter als die Insassen des Dschungel-Camps, und Berühmtheit ist die Währung des Medienzeitalters. Aber da ist noch etwas anderes: In den Boulevardmedien wird bereits lauthals über den baldigen Drogentod von Amy Winehouse spekuliert. Im Internet werden gar Wetten auf den Zeitpunkt abgeschlossen. Als wäre der Tod eines Popstars je vorhersehbar gewesen. Aber die Erwartungshaltung drückt eine Sehnsucht aus. Nach Strafe? So schlecht war Amys letzte Platte nicht, dass es zu keiner mehr kommen sollte. Also nach Einsicht? Wenn ein Heroin-Wrack wie Amy die Kurve kriegt, sollte dann nicht jeder seinen Schweinehund überwinden können! Am Ende des Duran-Duran-Videos fährt die Limousine jedenfalls erneut vor. Das kurierte Model steigt ein – und kippt sich gleich den Champagner hinter. Sind wir noch zu retten?

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