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Kultur: Singen tut gut

Von Engeln und Girlies: Neujahrskonzerte in der Philharmonie und der Berliner Volksbühne:

Diese Aufführung des „Elias“ ist ein Markstein in der Rezeptionsgeschichte des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy. Denn die Suche nach dem fernen Klang, wie ihn der Rias-Kammerchor und die Akademie für Alte Musik betreiben, führt das Werk in eine neue Unmittelbarkeit. Er habe sich beim „Elias“ einen Propheten gedacht, so wird Mendelssohn im Programmheft von Roman Hinke zitiert, „wie wir ihn etwa heutzutage wieder brauchen könnten“. So steht er vor uns, wenn die schweren Akkorde ihn ankündigen: als ein Mensch in vielen Widersprüchen. Kaum hat er liebend ein Wunder vollbracht und seinem Gott für die Erweckung eines Kindes gedankt, da verhängt er archaische Strafen, über die die Seele weint.

„Ich bin nicht besser als meine Väter“, betet er, aber die Engel singen: „Hebe deine Augen auf zu den Bergen.“ Und so nimmt der Prophet Züge Christi an, und der Herr lässt ihn gen Himmel fahren mit feurigen Rossen. Ein Größerer wird kommen: der Messias. Es ist bezeichnend für die Interpretation des Dirigenten HansChristoph Rademann, dass hier keines der tradierten Verdikte über Mendelssohn mehr gilt, die da etwa hießen: Fehlen seelischer Abgründe, mangelnde Echtheit, kultivierte Zurückhaltung, neuer Wein in alten Schläuchen.

Die Musik wendet sich an diesem Abend in der Philharmonie in geradezu aufklärerischer Deutlichkeit direkt an das Gefühl. Die alte Geschichte erscheint aktueller denn je: „So ihr mich von ganzem Herzen suchet“, singt schwärmerisch der Tenor Steve Davislim, und er könnte den Jakobsweg oder den Petersplatz im Sinn haben. Und das „Höre, Israel !“ von Marlis Petersens leuchtendem Sopran schreibt sich in unsere Gegenwart.

Zum Zeitgenossen wird auch die Persönlichkeit des Komponisten selbst, weil Rademann und seine Musiker in der Partitur das entdecken, was sie – ausgenommen vielleicht den schematischen Schluss – über romantisches Nachempfinden von Bach und Händel erhebt. Das ist ein starker Eigenton, der Mendelssohn allein gehört und der im Rhythmischen ebenso lebt wie in der vorbildlichen Textverständlichkeit aller. Die Naturvision eines Knaben wird von Inés Villanueva glänzend ausgesungen und spricht mit ihrer Klarheit ebenso wie andere Soli für den Chor, der sich solcher Mitglieder rühmen darf. Als klassische Oratoriensängerin fügt sich Gerhild Romberger mit warmer Altstimme ein, während Yorck Felix Speer in der Titelpartie den Abend trägt. Ein Sänger, der beweglich zu differenzieren weiß und dabei über die Kraft eines schönen Basses verfügt: „Ist nicht des Herrn Wort wie ein Feuer, und wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt?“

Mendelssohn, aufregend. Großer Jubel in der Philharmonie.Sybill Mahlke

Die Idee für die „Berlin String Theory“ las sich vorab etwas kopflastig: Man nehme die Sängerinnen oder Sänger diverser in Berlin ansässiger Pop-Acts und lasse sie zur instrumentalen Begleitung eines Streichquartetts je einen Song aus ihrem Repertoire zum Besten geben.

Beim Neujahrskonzert in der Volksbühne funktioniert das ambitionierte Konzept ausgezeichnet, nicht zuletzt, weil die vermeintliche kammermusikalische Strenge gar keine ist. Zu den vier konzentrierten Akteuren an Violinen, Bratsche und Cello gesellen sich je nach Bedarf weitere akustische Instrumente hinzu. So wird Peter Thiessen von immerhin elf Musikern begleitet, die das organische Atmen des epischen Kante-Songs „Die Hitze dauert an“ kongenial umsetzen.

Thiessen reagiert auf die ungewohnte Bühnensituation mit hanseatischer Distinguiertheit, andere gehen mehr aus sich heraus. Rapper Yaneq, einer der Initiatoren des Projekts, dreht als Conferencier mächtig auf, aber für prächtige Stimmung im Saal sorgen die hochklassigen musikalischen Beiträge. Da gibt es den trockenen Songwriter-Humor eines Olli Schulz, das aufrichtige Folk-Hippietum von Mamasweed inklusive Blockflötentrio und Teufelsgeiger-Intro, den subversiven Wortwitz von Viktoriapark oder der Band Deutscher Mädels (natürlich nur Jungs), die für ihr zu Freudentränen rührendes „Blau“ den charmanten Klaus Cornfield als Background- Nichtsänger gewinnen konnten.

Nebenbei belegt der unterhaltsame Abend, wie viele tolle Frauenstimmen es im Berliner Pop gibt: Elke Brauweiler von Paula versucht sich furchtlos am großen Chanson-Format, Soffy O. und Cherie, sonst eher für tanzflächenfüllenden Electropop zuständig, präsentieren im Duett fingerschnippenden Girlgroup-Doo-Wop, Jovanka von Willsdorf (Quarks) und Lisa Bassenge (Nylon) überzeugen als souveräne Pop-Diven.

Ein Höhepunkt ist Susie van der Meers lässig groovendes „Somebody has to pay“, das durch die brillante Performance des Beatboxers Eliot an Dynamik gewinnt. Selbst der nur per Videobeamer eingespielte, live begleitete Beitrag von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow wird bejubelt, ehe Berlins Rockhelden Gods Of Blitz zum rauschenden Finale mit „All you need is Love“-Feeling laden. Und sämtliche Protagonisten des denkwürdigen Konzerts bevölkern die Bühne, rund 40 an der Zahl. Das Jahr fängt gut an.Jörg Wunder

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