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Lässig und beherzt. Sir Roger Norrington, 82 Jahre alt.

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Sir Roger Norrington beim DSO: Kommt Zeit, kommt Tat

In jede seiner Bewegungen ist das Erstaunen eingeschrieben: Sir Roger Norrington dirigiert drei 8. Sinfonien beim Deutschen Symphonie-Orchester.

Es stimmt natürlich, dass Konzerte immer eine Meditation über das Vergehen der Zeit sind, gebündelt im Aufblühen und Ersterben der Töne. Der Auftritt von Sir Roger Norrington beim Deutschen Symphonie-Orchester aber geht in der Philharmonie noch ein beherztes Stück weiter. Jeder Bewegung, die der 82-jährige Maestro vollführt, ist das Erstaunen darüber eingeschrieben, wie ein Leben dahinrinnt.

Das behutsame Erklimmen seines Drehstuhls auf dem Dirigentenpult, das erleichterte Niedersinken, die Suche nach der Brille – Norrington nimmt es mit britischem Humor und kurzen Blickwechseln mit dem Publikum. Und da all das eng mit dem Programm des Abends verknüpft ist, muss man diesem unerschütterlichen Ritter bescheinigen, weit mehr zu sein als der Mann, der Symphonieorchestern das vulgäre Vibrato abgewöhnen wollte.

Vergangenheit, die in Traumbildern aufersteht

Drei 8. Sinfonien liegen auf den Pulten. Das klingt nach Spleen oder Zahlenmystik, entwickelt sich aber zu einer erstaunlich anregenden Zeitreise. Mozarts Werk eines Zwölfjährigen beginnt mit kühnen Sprüngen, die zugleich ihrem eigenen Nachhall zu lauschen scheinen. Die Musik steht einen Moment lang still, obwohl sie doch voraneilt – ein Effekt, den Norrington mit sichtlicher Freude herausarbeitet. Und wenn Mozarts Achte überraschend mit einem Sprung rückwärts endet, bleibt Norrington nichts anderes übrig, als schulterzuckend um sich zu blicken.

Wohin alles entschwindet, fragt sich auch der erst spät als Symphoniker erblühte Ralph Vaughan Williams. Mit seiner Achten vollendet das DSO einen 2012 begonnenen Zyklus aller Symphonien unter Leitung von Sir Roger. Er ist ein intimer Kenner dieser Werke, die sein Vater herausgab, und spielte als junger Geiger noch selbst unter dem Komponisten. Losgelöst von thematischen Banden, folgt die Achte mit Klangmischungen, die Vergangenes wie Traumbilder auferstehen lassen. Norrington zwingt diese Musik nicht unnötig ins Korsett straffer Stringenz, lässt sie immer wieder mit einem Lächeln aus der Zeitlichkeit entkommen.

Zum Finale purzelt Beethovens wilde Studie über das, was wir Zeit nennen, mit verdoppelten Holzbläserstimmen in den Saal. So geschwind, dass dabei auch Kollisionen entstehen, die sich nicht mal der Komponist hatte träumen lassen. Völlig verrückt das Ganze!, bedeutet der Maestro dem begeisterten Publikum beim Schlussapplaus.

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