zum Hauptinhalt
Prall aus dem Proll-Leben. Icke und sein dicker Doppelgänger auf der Showtreppe von „Icke – die Oper“.

© Doris Spiekermann-Klaas

Icke & Er: Kopfstuss mit Hopsverbot

Für Musical-Hasser: Die Spandauer Rapper Icke & Er inszenieren an der Volksbühne. Ein Probenbesuch.

Da steht er, mies gekleidet wie stets, in Jeansjacke, mit hochgezogenem Kapuzenpulli und getönter Sonnenbrille. Wie in seinen Videos, wie auf den Konzerten. Jetzt auf der Theaterbühne, gleich neben der Showtreppe, deren Stufen gigantischen Klaviertasten ähneln. Hat gerade fertig gesungen. Die Frau von der Volksbühne spricht ihn an. „Herr Icke, der Tagesspiegel ist da.“

Sie sagt wirklich „Herr Icke“. Nicht nur, weil der Tagesspiegel da ist, schwört sie. Aber die Schauspieler dürften ihn alle duzen. „Du, Icke“.

Mit den Schauspielern sei das so eine Sache, wird Icke später sagen. Man habe ihnen zunächst das Schauspielern austreiben müssen. Soll heißen: weniger schreien, weniger rumhampeln. Sie haben sich dran gehalten. Es ist schließlich Ickes Projekt. Und das von dem Mann zu seiner Rechten, dessen Sonnenbrille noch einen Tick dunkler ist, dessen Schirmmütze sein Gesicht noch stärker verdeckt. Er nennt sich „Er“.

Man kann kaum schlüssig erklären, wer diese Menschen sind. Man kann höchstens erklären, wer sie vorgeben zu sein: zwei Hip-Hopper aus Spandau, die im Internet vor fünf Jahren ein Musikvideo veröffentlichten, in dem die Worte „richtig geil“ häufiger vorkamen als jemals zuvor in der Popgeschichte: „Geh’ ick mit meinen Kumpels in’n Club. Richtig geil / Hab ick keene Kumpels, keinen Club. Auch richtig geil“. Die Gangsta-Posen wirkten lässig, die Bärte aufgeklebt. Das Video brachte ihnen einen Plattenvertrag beim Majorlabel ein.

Eigentlich geben Icke & Er keine Interviews. Jedenfalls nicht Auge in Auge. Am Anfang bestanden sie darauf, dass Journalisten ihre Fragen per Mail schickten. Im Tonstudio besprachen sie dann ein Band, schickten die Antworten zurück. Eigentlich ein Unding. Doch weil das Interesse an diesen Phantomen so groß war, weil alle wissen wollten, wer sich hinter den liebevoll gepflegten Proll-Identitäten verbirgt, ließen sich viele darauf ein. Die meistgestellte Frage lautete: „Ihr kommt doch nicht wirklich aus Spandau, oder?“

Heute gibt es sogar einen Händedruck. Ickes ist deutlich fester als Ers. So nah haben sie bisher wenige Pressemenschen an sich herangelassen. Erste Erkenntnis: Ickes Bart ist echt. Bei Ers sind Zweifel angebracht.

Seit fünf Wochen proben sie nun. Die Volksbühne erinnere ihn an ein besoffenes Finanzamt, erklärt Icke. Eine Behörde, aber alle Mitarbeiter seien ständig blau. Er schaut währenddessen aus dem Fenster. Dann auf den Boden. Dann auf die Säulen. Hauptsache nie dem Mann mit dem Aufnahmegerät ins Gesicht. So ist die Aufgabenverteilung. Icke spricht, Er flüstert gelegentlich in Ickes Ohr. Ein soufflierender Sidekick.

„Icke – Die Oper“ heißt ihr gemeinsames Stück. Eigentlich sei die Oper aber mehr ein Musical. Und zwar eines für Leute, die Musicals hassen. Es gibt kein Gehopse, keine schlechte Musik, keine Zirkusbands, sagt Icke. „Wenn wir tanzen, dann nur zufällig.“ Es soll eine Reise in seine Gedankenwelt werden, Icke selbst spielt die Hauptrolle. Wenn man Er fragt, ob er denn keinen Neid spüre, unterbricht Icke und antwortet: „Er ist überhaupt nicht neidisch. Mein Leben ist nun mal interessanter als seins.“ Außerdem führe Er doch Regie. Na klar. Als ob einer, der vor Fremden keinen Ton rausbringt oder jedenfalls rausbringen möchte, vor versammelter Mannschaft Regieanweisungen geben könnte. Doch doch, sagt Icke. Er erledige das per Telefon.

Ein bisschen nervt es langsam. Fünf Jahre hat man auf die Gelegenheit gewartet, diese Musiker persönlich zu treffen, hat ein halbes Dutzend Absagen kassiert, musste sich mit Ickes Bass-Stimme am Telefon begnügen, und jetzt, wo es doch klappt, bekommt man kein Interview, sondern eine absurde Sondervorstellung von Icke & Er. Bei der Icke behauptet, Er würde von zu Hause aus Regie führen.

Andere Maskierte haben nicht so lange durchgehalten. Sido legte schon nach einem Jahr die Maske ab, es schadete der Karriere nicht. Auch Studio Braun nahmen ihre weißen Plastikeimer vom Kopf, entpuppten sich als Rocko Schamoni und der Mann, der später als Heinz Strunk berühmt wurde. Icke & Er wollen es durchziehen. Vielleicht so wie die Residents aus San Francisco mit ihren Augäpfel-Masken. „Kennt Ihr eigentlich die Residents?“ Nein, sagt Icke, aber Slipknot.

Das Reizvolle an Icke & Er ist, dass man sie auf verschiedenen Ebenen erleben und schätzen kann. Als die etwas dumpfen Straßenrapper, die in ihren Songs niemandem wehtun, die Oliver Pocher als Mann mit „Eloquenz und Eleganz“ besingen und Til Schweiger gar als „echten Hollywoodstar“. Und eben als Konzeptkünstler, die mit Identitäten spielen, mehrdeutige Aussagen machen, bei denen man nie so recht weiß, ob man bereits um genug Ecken gedacht hat, um die Ironie zu begreifen.

Als gesichert gilt mittlerweile, dass die Musiker nicht aus Spandau stammen. Keiner kennt sie dort. Vielleicht sind sie Hamburger, es gibt Indizien. Auf jeden Fall muss es ein turbulenter Ort sein, das vermittelt zumindest das Bühnenbild, also Ickes Inneres: ein Puff, eine Kneipe, ein Fitnessstudio. Eine nackte Mutter ascht in ihren Kinderwagen. Icke bekommt einen Doppelgänger im Fatsuit an die Seite gestellt. Und die Handlung? An der werde noch gearbeitet, heißt es.

Den ersten Kontakt zur Volksbühne gab es vor zwei Jahren. Eine Mitarbeiterin hatte Songs im Radio gehört, ein Konzert besucht, dann schrieb sie eine Mail. Es folgten viele weitere, bis sich Icke zu einem Telefongespräch bereit erklärte.

Er wird bei der Premiere ebenfalls auf der Bühne sitzen, ganz links an der Deko-Theke, mit dem Rücken zum Publikum. Mehr Installation als Schauspieler, heißt es. Aber wer weiß schon, ob das wahr ist oder nur eine weitere Fantasie-Behauptung.

Telefonanruf bei Matthias Buss. Er spielt im Stück die adipöse Teenagerin, die sich in Icke verliebt und ihm nachstellt. Doch, es stimmt tatsächlich, sagt Buss. Er habe den Regisseur erst ein paar Mal im Theater gesehen. Und nie mit ihm gesprochen. Jede einzelne Probe werde aufgezeichnet, abends werte Er das Band aus, am nächsten Tag übermittelt die Regieassistentin präzise Anweisungen. Die Handlung habe er noch nicht ganz erfasst, ganz langsam kapiere er, wo das alles hinführe. Aber das gefalle ihm ungemein.

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 21.-24.4., 28.-30.4., 6./7.5., 28./29.5., 20 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false