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Moritz Rinke.

© Joscha Jenneßen

Sittenbild: Irre Allianzen auf einer großen Gesellschaftsparty

Sarrazin, Schwarzer, Illner und Co: Moritz Rinke zeichnet ein kleines Sittenbild auf großer Yacht.

Es war in einer Hafenbar in Saint Tropez. Auf den Yachten feierten Gesellschaften, und die Touristen standen unten am Steg und sahen zu, wie die Yachtmenschen feierten. Hin und wieder sahen auch die Yachtmenschen nach unten, um zu beobachten, ob sie wiederum von den Landmenschen beobachtet wurden. Auf einer Yacht, die aussah wie eine Mischung aus einem Kriegsschiff und einer überdimensionalen Viagrakapsel, feierte eine Kreditbank den Abschluss eines Poloturniers.

„Spielt Sarkozy nicht auch Polo?“, fragte ich den Kellner. „Oui, oui“, sagte er, und mich würde auch nicht wundern, dachte ich, wenn gleich aus dem Yachtinneren Thilo Sarrazin hervortreten würde mit polospielenden Vertretern der Bundesbank und des Bundespräsidialamts.

Auf so eine Yacht zu starren, verursacht ja wirklich den schlimmsten Gesellschaftsekel. Plötzlich stellte ich mir die Atomlobby mit Angela Merkel im Yachtinneren vor. Westerwelle mit der Hotellobby, Alice Schwarzer mit der „Bild“-Zeitung und Kachelmann! Oben an Deck stoßen Anne Will, Maybrit Illner, Beckmann und Plasberg mit Sarrazin auf dessen Verkaufszahlen an für „Deutschland schafft sich ab“ und auf die eigene Quote. Zwischendurch stößt Sigmar Gabriel Sarrazin ins Hafenbecken, aber Peer Steinbrück fischt ihn immer wieder heraus, bis allmählich deutlich wird, dass sich eigentlich Gabriel und Steinbrück gegenseitig von Bord ins Hafenbecken stoßen müssten, es geht um die ersten Signale für die SPD-Kanzlerkandidatur, viel Zeit hat man ja nicht mehr, Steinmeier ist in der Reha.

Das seltsamste Bild: Der Bundespräsident steht am Steuer der Yacht und will steuern, bis er merkt, dass es überhaupt kein richtiges Steuer gibt auf so einer Gesellschaftsyacht, das ist eine Attrappe, genau wie er. Bei diesem Bild müsste man schreiend den Hafen verlassen und sich fragen, ob es noch so etwas wie eine Führung in unserem Land gibt, von der moralischen oder geistigen ganz zu schweigen? Die gesamte politische Klasse machte erst den doppelten Pawlow vor ein paar idiotischen Biologieaussagen eines Wichtigtuers, der mit seinem Buch allein die Statisten auf seiner Seite hatte, und dann diskutierte man wochenlang. Aber über was eigentlich?

Keinen Tag ohne diesen Sarrazin, womit die Talkshows nach außen so taten, als würden sie ihren Auftrag erfüllen. Aber in Wahrheit bliesen sie Sarrazin zum gut verkaufbaren Mini-Hitler auf, er war ihr absoluter Quotenkönig und für die Quote schien alles recht, auch die irren Verkaufszahlen für Sarrazins Buch. Integrationspolitik? Bildungspolitik? Um Gottes willen, das hätte ja keiner ernsthaft sehen wollen! Nicht in einer einzigen Talkshow der zarte Hinweis, wie den Migrantenkindern überhaupt Deutsch beigebracht werden sollte, wenn man in Berlin nicht einmal genügend Lehrkräfte mit Migrationshintergrund ausbildet. Stattdessen saß bei Anne Will eine 19-jährige Migrantin im Minirock und berichtete, mit wie vielen Deutschen sie schon geschlafen hat, das war der Integrationssubtext.

Sarrazin und unsere Medien haben in diesem traurigen Spätsommer tolle Geschäfte gemacht. Darum sitzen die angeblichen TV-Aufklärer genauso auf der verlogenen Gesellschaftsyacht, in der am Ende die Kapitänsattrappe für den Quotenkönig bei der Bundesbank auch noch eine höhere Pension aushandeln ließ, das muss man sich mal vorstellen: Das Staatsoberhaupt sorgt sich um die Rente für den Quotenkönig, das ist so absurd wie folgerichtig, wenn man sieht, wie die Bundeskanzlerin sich seit dem Köhler-Rücktritt über alles hinwegsetzte, was einer Verfassung heilig sein müsste. Aber für Marionettenspiele sollte man dennoch irgendwie ein Feingefühl besitzen.

Nach irgendeinem Feingefühl kann man auf unserer Gesellschaftsyacht lange suchen. Alice Schwarzer berichtet exklusiv für „Bild“, umrahmt von lauter – pardon – Riesentitten vom Kachelmann-Prozess; dazwischen Frau zu Guttenberg im Kampf gegen Porno und Pädophile und Lady Gaga, die „Bild“ gleich auf der Nebenseite fleischfarben feiert. Solche irrsinnigen Allianzen werden immer typischer für unsere große Gesellschaftsparty. Wieso sollte man sich da über die verlängerten AKW-Laufzeiten wundern, wenn das Bundesumweltministerium ausgerechnet einen früheren Atommanager damit beauftragt hat, die entscheidende Sicherheitsanalyse für das geplante Endlager in Gorleben zu verfassen?

Atommanager mit Umweltsekretären, Banker mit Finanzsekretären, Frauenrechtlerinnen mit Sexverkäufern, Talkshowmacher mit ihrem selbst aufgeblasenen Mini-Hitler – sie alle sitzen zusammen auf der Yacht mit ihren AKWs, ihrer Hypo Real Estate, ihrem Stuttgart 21, den Kachelmanns, Kampuschs, Pädophilen, Lady Gagas, Juden-Genen etc. Und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn man zu etwas aufschauen könnte in diesem Land, wie schön es sein müsste, irgendwo Respekt zu empfinden.

Stattdessen warte ich jetzt ab, bis das ZDF sein „Heute-Journal“ direkt von der Gesellschaftsyacht überträgt und Maybrit Illner sagt: „Wie soeben bekannt wurde, müssen mein Mann und Telekom-Chef René Obermann wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft. Ich finde das ungerecht. Wir hatten gerade geheiratet.“

Danach sinkt das traurige Schiff, und die Kapitänsattrappe verteilt am obersten Deck noch Pensionen für alle, bevor es in die Tiefe geht. Nur Adolf Sauerland aus Duisburg – falls noch jemand weiß, wer das ist – entkommt mit einem kleinen Rettungsboot.

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