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Sixtinische Madonna: Auftritt für die Königin

Dresden feiert den 500. Geburtstag von Raffaels Sixtinischer Madonna. Für die große Sonderschau mit über 200 Werken wurde das monumentale Bild sogar von seinem angestammten Platz im ersten Geschoss der Galerie Alte Meister in die Bel Etage geholt und fulminant inszeniert.

Rolle rückwärts in die Gegenwart. In Dresden wird es vorgemacht. Dort hängt als kunsthistorischer Kassenschlager ein Madonnenbild, an dem alle Zeitläufte abzuperlen scheinen. Die Staatlichen Kunstsammlungen annoncieren ihre „Sixtina“ stolz geschwellt als „schönste Frau der Welt“, auch wenn das ewig junge Supermodel der Sempergalerie 500 Jahre alt wird. Die Werbefahnen für die Jubiläumsausstellung flattern in den poppigen Farben der Saison Magenta-Rot, Orange und Gelb über der großen Toreinfahrt. Der Ankömmling fragt sich sogleich sorgenvoll, ob Raffaels Muttergottes nun wirklich auf den Laufsteg muss oder weihevoll gewürdigt werden sollte, wie es ihrem Alter eher angemessen wäre.

Doch Dresden bleibt sich als Hüterin der Traditionen treu, ja legt sogar noch einmal zu. Als Geburtstagsgeschenk erhält die Sixtinische Madonna einen neuen Rahmen, wie sie schon an ihrem Ursprungsplatz, der Klosterkirche San Sisto in Piacenza, gehabt haben könnte: in Tabernakelform, mit ornamentalen Renaissanceschnitzereien, üppig vergoldet.

„Platz für den großen Raffael!“ Dies soll August III. vor 250 Jahren ausgerufen haben, als nach zähen Verhandlungen das Gemälde endlich aus Italien nach Dresden kam und er das Paradestück in seinem Audienzsaal erstmals öffentlich präsentierte. Auf ihre Art machen das die Museumskuratoren heute nicht anders, wenn sie Sonderausstellungen planen. Für die große Schau mit über 200 Werken wurde das monumentale Bild sogar von seinem angestammten Platz im ersten Geschoss der Galerie Alte Meister in die Bel Etage geholt. Dort hängt es ebenfalls in der Flucht eines Saals, doch diesmal so inszeniert, als wär’s die Apsis einer Basilika. Einbauten rechts und links schaffen den räumlichen Eindruck seitlicher Kirchenschiffe, die hier jedoch als Kabinette für lichtempfindliche Zeichnungen und Dokumente dienen.

Der Auftritt ist fulminant. Durch die deutliche Anhebung des Bildes schreitet die Muttergottes mit ihrem Jesusknaben im Arm wahrhaftig von oben über Wolken zum Betrachter herab. Das neue Schutzglas lässt sie wieder strahlen, macht sie zur Lichtgestalt. Ihre Grünstichigkeit, die in unmittelbarer Nachbarschaft mit der frisch restaurierten Foligno-Madonna aus Rom im vergangenen Herbst unschön ins Auge stach, fällt kaum noch auf. Ein Lifting, die Erneuerung der Firnisschichten, steht dennoch nicht an, denn die Dame befindet sich trotz ihres hohen Alters in bestem Zustand. Das Knallige bleibt den Plakaten vorbehalten, die Sixtina behält auch in Zukunft ihre gedämpften Farben.

Schon beim herbstlichen Besuch der Schwestern-Madonna als Leihgabe zum Papst-Besuch zeigte sich im Vergleich, welch außerordentliche malerische Erfindung die Sixtina ist, welch künstlerischer Coup Raffael damit gelang, der Muttergottes durch den beiseite gezogenen Vorhang Unmittelbarkeit zu verleihen. Die jetzige Ausstellung zelebriert das Werk des Meistermalers, der gerade einmal 24-jährig von Papst Julius II. nach Rom geholt wird und hier neben Michelangelo zum Star, ja zum „sterblichen Gott“ avanciert, wie Vasari ihn in seinen Künstlerviten nennt.

Rom und die Antiken inspirieren den jungen Mann aus Urbino. Bald schon eignet sich Raffael eine derart körperliche Malweise, eine geradezu physische Präsenz der Figuren an, dass er auf architektonisches Beiwerk zur Betonung der Perspektive verzichten kann. Seine ergreifende Garvagh Madonna von 1510 mit Jesusknabe und Johannes dem Täufer als Kind, eine Leihgabe aus der Londoner National Gallery, zeigt ihn auf dem Weg dahin. Noch trennt eine steinerne Brüstung das Personal vom Hintergrund. Bei der Sixtina öffnet sich allein der Himmel. Und noch etwas zeigt sich bald: Raffaels besonderes Talent für Engelchen, sein Gespür für die innige Beziehung zwischen Mutter und Kind. Zeichnungen aus dem Ashmoleon Museum in Oxford, dem British Museum in London, der Albertina in Wien und dem Pariser Louvre belegen seine leichte Hand gerade für dieses Sujet, das bei der Sixtina jedoch ins Melancholische gewendet wird. Mutter und Kind verschmelzen hier zur Einheit, gemeinsam richtet sich deren umflorter Blick in die Ferne, aus der nichts Gutes zu kommen scheint. In ihren Augen zeichnet sich bereits das weitere Schicksal ab.

Dem Zauber erlagen auch die Brüder der Benediktinerabtei von Piacenza. „Dein Bild, Königin des Himmels, / Strahlt Flammen der Reinheit und der Strahlen der Liebe aus ...“ dichtete der Klosterchronist. Zugleich war das Madonnenbild als Auftragsarbeit des Papstes Bestandteil knallharter Kirchenpolitik, denn Julius II. demonstrierte damit die Ausweitung des Vatikanstaates bis in die Po-Ebene hinein. So erstaunlich es ist: Das kapitale Werk erfreute hauptsächlich die frommen Mönche, von der Welt blieb es unbemerkt. Kultstatus erlangte es erst an seinem zweiten Platz im Elb-Florenz – und dort auch nur sehr zögerlich.

Zwar zahlte der sächsische Fürst einen horrenden Preis, doch vornehmlich für den Maler, der ihm in seiner Sammlung bislang noch fehlte. Erst die Romantiker entflammten sich für das Bild selbst: „Das ganze bunte Farbengemisch schwimmt zusammen in der bebenden Thräne,“ schwärmte der Historiker Karl Morgenstern. Mit der Vervielfältigung in Lexika und Zeitschriften wie der „Gartenlaube“ trat die Sixtina ihren Siegeszug an. Eine Reproduktion, ob gemalt wie in den königlichen Gemächern von Sanssouci oder als Kupferstich im bildungsbürgerlichen Haushalt, gehörte fortan zum kultivierten Inventar.

Da hatten jene beiden sich lümmelnden Engelchen vom unteren Gemälderand längst eine eigene Karriere gemacht: ob als Oblate für das Poesie-Album, als Stickarbeit oder Hinterglasmalerei. Auch die Wirtschaft erkannte bald das Potenzial der herzigen Himmelsknaben und setzte sie für Werbezwecke ein, mag der inhaltliche Zusammenhang manchmal auch schwer zu erkennen sein. So erscheinen die Putten um 1890 in einem der frühesten Zeugnisse für Kommerzialisierung mit Schweinerüssel, Schlappohren und Hufen, um für tierisches Fett zu werben.

Die letzte Abteilung der großartigen Schau, die künstlerische Bearbeitungen der Sixtina etwa von Kurt Schwitters streift, zeigt gnadenlos den weiteren Werdegang der beiden: als himmlische Helfer bei Bausparverträgen, Backmischungen, Luftbefeuchter, Toilettenpapier. Dresden scheut sich nicht, auch auf diese Seite der Kunstgeschichte einen Blick zu werfen. An der Sixtina aber perlt dies genauso ab wie zuvor all der Lobgesang. Sie besitzt ihre eigene Gegenwart. Alt wirken nur die anderen.

Galerie Alte Meister, Dresden, bis 26. 8.; Katalog (Prestel) 29,95 €.

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