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Kultur: Skandal um Schweinemast: Sauereien

Der Appetit auf Rindfleisch ist den Deutschen längst vergangen. Doch auch die Lust auf Schweinefleisch wird angesichts des jüngsten Mast-Skandals, der sich zwischen Österreich und Bayern gerade abspielt, auf eine harte Probe gestellt.

Der Appetit auf Rindfleisch ist den Deutschen längst vergangen. Doch auch die Lust auf Schweinefleisch wird angesichts des jüngsten Mast-Skandals, der sich zwischen Österreich und Bayern gerade abspielt, auf eine harte Probe gestellt. Die Vorsitzende des Bundesverbands für Verbraucherschutz, Edda Müller, sieht die Deutschen sogar auf dem Weg zu einem "Volk der Vegetarier". So beschrieb sie etwas überspitzt im ZDF die Gemütslage vieler Verbraucher.

Dabei hat die BSE-Krise bloß den Blick für die Zustände in der Landwirtschaft geschärft. Hinter dem illegalen Tierarzneimittelhandel in Süddeutschland und Österreich war die Wiener Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" schon seit anderthalb Jahren her. Gegen vier bayerische Tierärzte und zwei große Schweinezüchter in Österreich wird jetzt auf Grund dieser Recherchen ermittelt. Attila Cerman, Pressesprecher von "Vier Pfoten", vermutet, dass ein Großteil der österreichischen Schweinezüchter in diesen Skandal verwickelt ist. Der Markt für illegale Antibiotika, Hormone und Impfstoffe wird in Österreich auf 300 Millionen Schilling (rund 42,8 Millionen Mark) geschätzt. Der legale Markt für Tierarzneien ist gerade mal doppelt so groß. Die deutschen Tierärzte - in der Szene werden diese Arzneimittel-Händler als Autobahntierärzte bezeichnet - waren offenbar gut im Geschäft. Zwar hätten sie, so Cerman, in Österreich allenfalls Scheinpraxen betrieben. Dennoch sei es ihnen gelungen, in wichtige Gremien gewählt zu werden und ihre Arbeit mit entsprechender Lobbyarbeit abzusichern. "Wir sind keiner Kleinigkeit auf der Spur", sagt Cerman. Das habe sich auch daran gezeigt, dass ein Landesrat der konservativen ÖVP noch in der vergangenen Woche versucht habe, seine Bauern vor Hausdurchsuchungen zu warnen. "Vier Pfoten" werde ihn deshalb wegen Amtsmissbrauchs anzeigen.

Dass die Tierschützer sich auf ein gefährliches Terrain begeben, ist ihnen bewusst. Michael Buchner, der am Montag seine Rechercheergebnisse in dem Buch "Risiko Schweinefleisch" vorgestellt hat, sei bereits mehrfach bedroht worden, berichtet Cerman. In Belgien blieb es Mitte der 90er Jahre nicht bei Drohungen. Dort wurde ein Tierarzt erschossen, der versuchte, die mafiosen Strukturen zwischen Tierarzneimittelherstellern und Landwirten zu durchbrechen. Eine Reihe weiterer Tierärzte kam bei ungeklärten Autounfällen ums Leben. Kein Wunder, dass sich bei der Aufklärung dieser kriminellen Verstrickungen kaum jemand öffentlich aus dem Fenster lehnen will.

Trotzdem findet die Tierärztin Anita Idel an diesem jüngsten Skandal lediglich überraschend, dass es für illegale Tierarzneien überhaupt einen Markt gibt. Schließlich sei vieles ohnehin erlaubt. "Schon in den ersten Lebenstagen machen Ferkel zum ersten Mal Bekanntschaft mit Antibiotika. Und das ganz legal", sagt sie. Der Grund dafür liegt für Thomas Dosch, Vorstandsmitglied beim ökologischen Landbauverband Bioland, auf der Hand. In einer effizienten Schweinezucht werden meist gleich alte Ferkel zugekauft. Sie werden im selben Tempo gemästet und, wenn irgend möglich, allesamt am selben Tag zum Schlachthof gebracht. Dann ist der Stall leer, kann gesäubert und desinfiziert werden und wird erneut mit Ferkeln belegt. So weit, so effizient. Doch für die Ferkel bedeutet das "tierischen Stress", wie der grüne Europa-Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf vor zwei Jahren in einer Broschüre schrieb. Dosch sagt: "In den ersten Tagen ist im Schweinestall der Teufel los." Um sicher zu gehen, werden den Ferkeln aus Gründen der Vorsorge "therapeutische Antibiotika" unters Futter gemischt.

Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes kommt für das Jahr 1997 zu dem Schluss, dass im so genannten Schweinedreieck im Weser-Ems-Kreis in der ganz alltäglichen Schweinemast zwischen 150 000 und 200 000 Kilogramm Antibiotika im Jahr eingesetzt worden sind. Weitere 120 000 Kilogramm sind als leistungsfördernde Futtermittelzusätze in die Schweinetröge gekippt worden. Zwar wurde diese Praxis 1999 in Deutschland verboten. Dennoch fällt es nicht ganz leicht, den Unterschied zwischen diesen beiden Verabreichungsformen zu erklären. Schließlich landen sowohl "therapeutische Antibiotika" wie Leistungsförderer letztlich im Mischfutter für Schweine. In der Geflügelzucht, seien das Masthähnchen oder Puten, ist das im Übrigen kaum anders.

In Norddeutschland sind die Autobahnärzte übrigens selten geworden. Der Grund: Heutzutage sind Tierärzte weniger pingelig, wenn es darum geht, Antibiotika zu verschreiben. Viele Schweinezüchter haben einen Vertrag mit einem Tierarzt. In Absprache verabreichen sie die Medikamente einfach selbst. Das spart dem Tierarzt Mühe und dem Schweinezüchter Kosten. Die Marge scheint für beide zu reichen. In Süddeutschland und Österreich sind die Tierärzte offenbar weniger großzügig. Deshalb, vermutet ein Schweinezüchter aus Norddeutschland, sei dort die Verlockung eines illegalen Marktes auch größer.

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