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Blut an den Händen. Nat Turner (Nate Parker) führte 1831 den ersten Sklavenaufstand an.

© 20th Century Fox

Sklavendrama „The Birth of a Nation“: Gott und Gewalt

Nate Parkers kontroverses Sklavendrama „The Birth of a Nation“ wirkt bis in die amerikanische Gegenwart.

Von Andreas Busche

Zu den 37000 Objekten in der Sammlung des im September 2016 eröffneten National Museum of African American History and Culture (NMAAHC) gehört – neben dem Kleid, das Rosa Parks an jenem Tag nähte, an dem sie sich weigerte, ihren Sitzplatz für einen Weißen aufzugeben, und der Boombox des Rappers Chuck D – auch die Bibel des Predigers und Rebellenführers Nat Turner. Die drei Objekte markieren entscheidende Momente der Selbstermächtigung in der afroamerikanischen Geschichte: Parks Weigerung führte 1955 zum Montgomery Bus Boykott und wird gemeinhin als Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung angesehen, Public-Enemy-Frontmann Chuck D reklamierte mit seinem Ausspruch vom Hip-Hop als das „schwarze CNN“ eine Sprecherposition im weißen Amerika.

Beide Ereignisse sind positiv besetzte Einlassungen in die afroamerikanische Geschichte, die das NMAAHC so umfassend dokumentiert. Nat Turner nimmt in dieser Kontinuität eine Sonderrolle ein. Turner, selbst Sklave auf einer Plantage in Virginia, führte im August 1831 einen gewaltsamen Aufstand von Sklaven und sogenannten freien Schwarzen an, bei dem er und seine Gefolgsleute 60 Plantagenbesitzer und ihre Familien töteten. Zwei Tage dauerten die Unruhen, dann schlugen Militär und Bürgermilizen den Aufstand nieder. Zwei Monate später wurde Turner öffentlich hingerichtet.

Hollywood interessiert sich für die Sklaverei

Aus der Perspektive einer noch immer überwiegend angelsächsisch geprägten Kulturgeschichte birgt die Biografie Turners wenig Identifikationspotenzial. Zu sehr schwingen in dem Bild des sich mit Waffengewalt selbst ermächtigenden Afroamerikaners beunruhigende Erinnerungen an die Ausschreitungen in Watts im Jahr 1965, an Los Angeles 1992 und, noch frisch, an Fergusson mit. Insofern kommt Nate Parkers Film „The Birth of a Nation“ über Nat Turner zu einem interessanten Zeitpunkt in die Kinos – was sich schon daran festmachen lässt, dass der Film nach seiner Premiere, auf dem Höhepunkt der Oscarssowhite-Debatte, einen selbst für die US-Filmbranche beispiellosen Hype erlebte.

Hollywood interessierte sich zuletzt in immer kürzeren Zyklen für die Geschichte der Sklaverei. Eine systematische Aufarbeitung hat sich daraus bisher nicht erschlossen. Zuletzt versuchte sich Steven Spielberg mit „Lincoln“ an einer Geschichte des Abolitionismus, Steve McQueen erzählte in „12 Years a Slave“ die privilegierte Biografie des „freien Schwarzen“ Solomon Northup. Und dann gab es natürlich Quentin Tarantinos „Django Unchained“, der „The Birth of a Nation“ noch am nahesten steht, wenn auch als Pulp-Verschnitt.

In gewisser Weise gelingt Parker, was das NMAAHC mit der Aufnahme von Nat Turners Bibel in seine Sammlung bereits vollzogen hat: die Berücksichtigung einer Perspektive, die eine genuin schwarze ist. Bei Spielberg, McQueen und Tarantino sind die Afroamerikaner noch Subjekte von Gnaden weißer Akteure. Parker dreht mit „The Birth of a Nation“ den Spieß um, schon der Titel ist ein Akt der Aneignung.

Aneignung eines rassistischen Klassikers

Das gleichnamige Stummfilmepos von D. W. Griffith ist eines der großen kontroversen Meisterwerke der Filmgeschichte, das 1915 maßgeblich zum Erstarken des Ku-Klux-Klans beitrug. Parker interpretiert den Titel anders als Griffith: Die „Nation“ ist als solche nur ein stabiles ideelles Konstrukt, wenn sie sich mit dem Unrecht der Vergangenheit auseinandersetzt. Und noch etwas hat Parker in seiner Version verkehrt: Während bei Griffith die Vergewaltigung einer weißen Frau die rassistische Gewalt motiviert, ist bei Parker die Vergewaltigung von Turners Frau Cherry (Aja Naomi King) ein Auslöser – nicht allerdings der entscheidende, wie Kritiker fälschlicherweise behauptet haben. Im Film wendet sich Nat Turner gegen seinen Herren, nachdem der ihn öffentlich ausgepeitscht hat. Turner hatte zuvor einen Weißen getauft.

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Man merkt „The Birth of a Nation“ allzu deutlich an, dass Parker seine Figur in ein positives Licht zu rücken versucht – und das nicht nur, weil er selbst auch die Hauptrolle spielt. Schon im Kindesalter wird Nat von einem Priester als Prophet verkündet, später lehrt ihn die Ehefrau des Plantagenbesitzers (Penelope Ann Miller) das Lesen und die Bibel. Mit deren Sohn Sam darf Nat sogar auf der Plantage spielen.

Als der Besitzer stirbt, entwickelt sich zwischen den heranwachsenden Nat und Sam (Arnie Hammer) ein ambivalentes Herr-Knecht-Verhältnis, das noch zu den interessanteren Aspekten des Films gehört - die Figur eines durch und durch rassistischen Sklavenjägers, gespielt von Jackie Earle Haley, ist dramaturgisch sicher der schwächste. Gelegentlich darf Nat sogar das Wort Gottes predigen. Die Weißen erkennen in dem eloquenten Schwarzen einen einflussreichen Mittler, denn sie spüren, wie die Unzufriedenheit unter den Sklaven wächst. Auf seinen Predigerreisen zu den umliegenden Plantagen realisiert Nat Turner erstmals seine privilegierte Stellung. Der innere Widerstand wächst, seine Predigt vor einer Gruppe malträtierter, abgemagerter Sklaven steigert sich zu einer Brandrede. Es ist sein Erweckungserlebnis.

Rassismus und sexualisierte Gewalt

An diesem Punkt kollidiert auch das Bild, das Parker von Nat Turner zeichnet, mit dem öffentlichen Bild des Regisseurs, der im Zuge des Hypes um „The Birth of a Nation“ wieder mit einem 16 Jahre zurückliegenden, juristisch abgeschlossenen Vorwurf der Vergewaltigung konfrontiert wurde. In der medialen Debatte purzelten danach unterschiedliche Sachverhalte und Argumente munter durcheinander, zusätzlich befeuert durch die Tatsache, dass sich das Opfer im Jahr 2012 das Leben genommen hatte. Der Vorwurf, dass ausgerechnet Parker eine (fiktive) Vergewaltigung für einen historischen Sklavenaufstand instrumentalisiere – ein Zusammenhang, den der Film allenfalls suggeriert –, ist allerdings eine höchst problematische Psychologisierung historischen Unrechts. Unabhängig davon, ob Parker schuldig ist oder nicht, war die Verbindung von Rassismus und sexualisierter Gewalt in Amerika bis weit ins 20. Jahrhundert eine gängige Praxis.

Es ist daher unredlich, gerade dieses Argument gegen „The Birth of a Nation“ vorzubringen. Die heftigen Reaktionen, die Parker vermutlich seine Karriere kosteten, zeigen allerdings, wie sehr der Film einen Nerv getroffen hat. Die Öffentlichkeit schwenkte im letzten Jahr schnell um und einigte sich auf „Moonlight“ als den konsensfähigeren „Black Lives Matter“-Film. Für die Vielstimmigkeit eines historischen Diskurses, wie ihn das Museum für afroamerikanische Geschichte anbietet, ist im Kino scheinbar noch kein Platz. Als Afroamerikaner, der eine Geschichte der Gewalt wie die von Nat Turner erzählt, muss man in Amerika moralisch unantastbar bleiben. Es ist unmöglich, Parkers Film nicht auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Die Gewaltverhältnisse, von denen „The Birth of a Nation“ erzählt, lassen sich nicht so einfach umdrehen.

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