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Kunst im Raum von Tobias Rehberger.

© Roman Mensing

Skulpturen von Tobias Rehberger in Münster: Von bunten Raupen und Rohrwülsten

In unserer Sommerserie stellen wir die schönste Kunst-Ziele in Deutschland vor. Diesmal: Tobias Rehberger setzt bei seinem Ausstellungsprojekt in Münster auf hässliche Schaltkästen.

Alle schauen nach Berlin, wir meistens auch. Dabei finden sich abseits der Metropole viele sehenswerte Ausstellungen und Kunstprojekte. Manche davon stehen als Solitäre für sich, andere krempeln das Bild einer ganzen Stadt um. in unserer Sommerserie stellen wir lohnende Ziele in Deutschland vor. Heute die letzte Folge: Münster.

Tobias Rehberger ist in diesem Jahr ein vielbeschäftigter Mann. Bis Mai war in der Schirn-Kunsthalle eine Retrospektive an seinem Wohnort Frankfurt zu sehen. In St. Georgen im Schwarzwald, der Heimatstadt der Sammlerfamilie Grässlin, bespielt er deren Kunstraum. Knapp 600 Kilometer weiter nördlich, in Münster, der Stadt, die für ihre alle zehn Jahre stattfindenden Skulptur.Projekte international bekannt ist, präsentiert er sich jetzt gleich elf Mal im öffentlichen Raum.

Für Rehberger ist dies ein zweiter Großauftritt in Münster. 1997 war er schon einmal hier mit seiner Opern-Air-Bar „Günter’s (wiederbeleuchtet)“, die ein zentrales Werk der vorletzten Ausgabe der Skulptur.Projekte darstellte. Auch damals ging es um die Nacht, Licht und Partizipation. Doch diesmal definiert der Bildhauer nicht nur einen einzelnen Ort im öffentlichen Raum künstlerisch um, sondern gleich mehrere Plätze, genauer: Schaltkästen.

Der Erdtrabant steht im Zentrum seines Projekts „The Moon in Alabama“. Münster gilt als adrette und einkommensstarke Universitätsstadt mit hoher Lebensqualität. „Wissenschaft und Lebensart“ lautet das Motto der Stadt. Das schmuddelige und von Leerstand geplagte Bahnhofsviertel passt da nicht ins Konzept. Ausgerechnet hier hat Rehberger elf von rund 60 Schaltschrankkästen in bunte und benutzbare Skulpturen verwandelt. Die übrigen 49 Kästen stehen weiterhin grau und unansehnlich herum. Umso mehr brillieren die elf übers Quartier verteilten Schaltkasten-VIPs.

Raupen und Rohrwülste über Schaltkästen

Bunte Rohre brechen da unter dem Trottoir hervor und legen sich wie Raupen über die Kästen. Andernorts laden Rohrwülste oder -stümpfe zum Hinsetzen und Verweilen ein. Jede Station verfügt über eine Leuchtkugel, die nach Einbruch der Dunkelheit nicht nur wie der Mond erscheint – sie repräsentiert ihn auch. Rehberger hat elf Städte rund um den Globus ausgewählt, deren Mond in Liedern besungen oder in Romanen, Sagen und Gedichten gerühmt wurde. Die Auf- und Untergangszeiten des jeweiligen Mondes hat er mit seinen Leuchtobjekten in Münster synchronisiert: Geht der Mond etwa auf der Party-Insel Ibiza auf, so fängt auch sein Pendant auf Münsters Berliner Platz vis-à-vis vom Hauptbahnhof zu leuchten an. Weitere Stationen sind Lampertswalde, Alabama, Kyoto, Jökulsárlón, Taormina, Baku, Jericho, Goa und Wanne-Eikel.

Guten Abend, gute Nacht und nichts weiter? Ein bisschen Romantik für verliebte Germanistikstudenten? Ein kleiner Hoffnungsschimmer für die am Bahnhof Gestrandeten? Bei einem Künstler wie Tobias Rehberger steckt natürlich mehr dahinter. Der Frankfurter Bildhauer sah sich anfangs vor ein Dilemma gestellt. Die Idee, graue Schaltkästen in hippe Skulpturen mit Wiedererkennungswert zu verwandeln für eine halbe Million Euro, hatte zunächst die Immobilien- und Standortgemeinschaft Bahnhofsviertel Münster e. V. (ISG). Die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums, in den USA schon gang und gäbe, hält nun auch Einzug in die deutsche Provinz. Das Stadtmarketing von Münster ist mit von der Partie. Das Projekt soll zugleich auf die fünften Skulptur.Projekte 2017 verweisen. Deren Mitgründer und bisheriger Leiter Kasper König kommentierte das Ansinnen der ISG denn auch mit den Worten: „Rehberger ist der Einzige, der mit einer solch bekloppten Idee was anfangen kann.“

Kunst im Raum von Tobias Rehberger.
Der Un-Ort Stromkasten, aufgehübscht von Tobias Rehberger.

© Roman Mensing

Rehberger zieht dem Gentrifizierungsansinnen den Zahn

Insgesamt also ein etwas heikles Umfeld, in dem ein grundanständiger Künstler schnell seinen Ruf riskiert. Doch Rehberger und die Kuratorin des Projekts, Gail Kirkpatrick, gleichzeitig Leiterin der Kunsthalle Münster, taktierten klug und ließen sich nicht auf alle Begehrlichkeiten ein. Mit seinen bunten, durchaus sperrigen Skulpturen, die dem öffentlichen Raum weitere undefinierbare Leitungen und Rohre hinzufügen, statt das vorhandene Stadtmobiliar bloß aufzuhübschen, hat Rehberger dem Gentrifizierungsansinnen, das hinter dem Projekt steht, einigermaßen den Zahn gezogen. „Die Idee, etwas mit den Schaltkästen in Münster zu machen, fand ich im ersten Moment noch etwas seltsam“, sagt er selbst. „Aber wie in meiner Arbeit bei den Skulptur.Projekten 1997 hat es mich gereizt, diese Unorte, die man ansonsten wie blinde Flecken gerne in seiner Wahrnehmung ausblendet, in einen Ort zu verwandeln, der eine gewisse Qualität hat und so überhaupt erst zu einem Ort wird.“

Der Künstler macht damit darauf aufmerksam, dass Schaltkästen so etwas wie das zentrale Nervensystem unserer Städte verkörpern. Hier laufen alle Stränge zusammen. Hier werden Strom, Telefon, Internet, Notrufsäulen, Brandmelder, Ampelschaltungen, Abwasserventile, Verkehrs- und Überwachungskameras verschaltet und verdrahtet. Was normalerweise unter dem Asphalt verborgen liegt, all die Versorgungsleitungen und XXL-Rohre, lässt Rehberger das Trottoir durchdringen. Er offenbart damit, dass unter dem Pflaster eben nicht, wie von den 68ern noch herbeigesehnt, der Strand liegt, sondern die durchaus verwundbaren Nervenbahnen der modernen Gesellschaft.

Subtiles Störelement

Die Anspielung im Projekttitel auf Bertolt Brechts eigentlich jede Hoffnung zunichte machenden „Alabama Song“ aus der antikapitalistischen Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ ist ein subtil eingebautes Störelement, ebenso die Zuordnung eines der Münsteraner Monde zum verstrahlten Un-Ort Tschernobyl. Es ist der Versuch, sich den Vereinnahmungsversuchen der Auftraggeber wenigstens ein bisschen zu entziehen. „In meiner Arbeit geht es eher um Ungewissheit über das, was man Kunst nennt“, sagt Tobias Rehberger. Wer seinen vielfältigen Strategien auf die Spur kommen möchte, erhält in Münster einmal mehr Gelegenheit dazu. Dem Künstler selbst wird man wohl nicht begegnen. Der jettet eher um die Welt, um neue hybride Arbeiten auszuhecken, die die Grenzen zwischen Kunst und Design, Autonomie und Benutzbarkeit, individueller Autorschaft und delegierter Teamarbeit schelmenhaft auf die Probe stellen.

Nicole Büsing, Heiko Klaas

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