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Die blaue Weite des Meeres.

© dpa

Slobodan Tišmas Roman "Das Bernardi-Zimmer": Möbel und Meeresträume

Slobodan Tišmas schillernder Roman „Das Bernardi-Zimmer“: Ein Schmuckstück in einer hässlichen Schale.

Bernardo Bernardi war ein bedeutender kroatischer Architekt und Designer – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen italienischen Anthropologen. Vom Bauhaus beeinflusst, entwarf er von den 50er bis in die 80er Jahre neben Hotels, Restaurant- und Kircheninterieurs auch Möbel. Seine Stühle und Schränke sind heute noch immer schick und spielen nun eine Hauptrolle in Slobodan Tišmas Roman „Das Bernardi-Zimmer“. Die Eltern des Protagonisten Pišta Petrović haben ihre neu bezogene Wohnung einst mit Bernardi-Möbeln ausgestattet – oder zumindest mit Möbeln, von denen Pišta glaubt, sie stammten von dem bekannten Designer. Die Eltern sind längst getrennt und weggezogen. Dafür haben sich einige Außenseiter bei Pišta eingenistet. Sie stören ihn, doch er weicht lieber in ein ausgeweidetes Autowrack aus, als sie rauszuschmeißen.

Der Antiheld hat die Suche nach einer Leitidee aufgegeben

Die aus hellbrauner Eiche und schwarzem Kalbsleder gefertigten Möbel („ziemlich unbequem, aber dafür eine Augenweide“) hat er in einem verschlossenen Zimmer zusammengeschoben und abgedeckt. Sie sind für ihn so etwas wie ein letzter Anker in der Normalität, ein Gegenpol zu seinem Abdriften in einen völlig ambitionslosen Zustand des Sich-Fügens und Alles-Ertragens.

Dass der in der ersten Person erzählende Antiheld einmal anders war, erfährt man in kurzen Rückblenden und Erinnerungen. So hatte er eine Zeit lang intensiv nach Leitideen für sein Leben gesucht, schließlich aber alle verworfen. Sogar mit Verrücktsein hat er es eine Weile versucht, um schließlich zu der Erkenntnis zu gelangen: „Die Durchschnittlichkeit war mein Fatum.“

Das verwundert, denn Pišta ist zumindest körperlich etwas Besonderes: Seine Geschlechtsorgane sind verkümmert. Eine zunächst bewilligte Geschlechtsumwandlung wird ihm verweigert, woraufhin Pišta eine Trotzphase durchläuft, während der er nur in der weiblichen Form spricht – eine folgenlose Episode wie seine Leitidee-Experimente.

Das Cover ist hässlich – der Klappentext teils falsch

Die Geschichte spielt Mitte bis Ende der achtziger Jahre in einer fiktiven serbischen Stadt namens Đurvidek, was auf Újvidék, den ungarischen Namen für Novi Sad anspielt. Hier lebt der 1946 geborene Schriftsteller Slobodan Tišma, der in seiner Heimat auch als Dichter sowie als Sänger der jugoslawischen Kultbands Luna und La Strada bekannt ist.

Mit dem „Bernardi-Zimmer“ gewann er 2012 den bedeutenden NIN-Preis für den besten serbischen Roman des Jahres. Es ist das erste Buch von Tišma, das ins Deutsche übersetzt wird, und es macht neugierig auf diesen so lässig wie poetisch erzählenden Autor. Allerdings hätte „Das Bernadi-Zimmer“ einen besseren Druck und eine schönere Gestaltung verdient gehabt. Das Umschlagmotiv mit der verfremdeten Fotografie einer Statue schafft es locker in die Top Ten der hässlichsten Cover des Frühjahrs. Noch ärgerlicher ist aber der Klappentext, in dem Pišta Petrović fälschlicherweise als Hermaphrodit bezeichnet wird und die Handlung teils fehlerhaft nacherzählt wird.

Letzteres ist auch insofern widersinnig, als Träume, Abschweifungen und Erinnerungen für Pišta ohnehin wichtiger sind als das Geschehen um ihn herum. Vor allem zwei Autounfälle, die er vor einigen Jahren an der Adria-Küste aus nächster Nähe beobachtet hat, kehren immer wieder in seine Gedanken zurück. Er sinniert über die Fahrerinnen und stellt spekulative Verbindungslinien zu Bernardo Bernardi sowie dem Autowrack her, in dem er liegt. „Ich betrachtete die glänzende Motorhaube des Mercedes, wie sie sich in die unruhige Meeresoberfläche des eisigen Ozean verwandelt, und den großen Stern am Horizont, wie er über die Wellen auf- und absteigt und ich nie wusste, ob er aufsteigt oder absteigt. Es gab ein Gesetz, das Weltall drehte sich, aber das Herz war der größte Streuner, die größte Ungewissheit, das untreue Herz, dieses Erzittern der Freiheit, für manche die höchste Strafe, für manche der höchste Lohn.“

Schweifende und schlingernde Erzählbewegungen wie diese sind typisch für „Das Bernadi-Zimmer“. Sie finden aber immer wieder schnell in einigermaßen gerade Bahnen zurück. Ganz beiläufig erzeugt Slobodan Tišma so eine große Nähe zu seiner eigenwilligen Hauptfigur, mit der man gerne noch eine Weile länger auf die Motorhauben-Meeresoberfläche starren würde.

Slobodan Tišma: Das Bernardi-Zimmer. Roman. Aus dem Serbischen von Elvira Veselinović. Leipziger Literaturverlag, Leipzig 2015. 136 Seiten, 16,95 €.

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