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Kultur: So schön war die Zeit

Fernab und mitten drin: Ein Buch erinnert an die „Generation West-Berlin“

Heute muss man das ja erklären wie die Geschichte eines untergegangenen Reiches. Die Erinnerung an das alte West-Berlin droht zunehmend zu verblassen, wenn auch langsamer als die an den kolonialisierten Ostteil der Stadt. Die hauptamtlichen Berlinbeschreiber sind ja überwiegend später zugewandert und haben den Radius neu gezogen. Aber wer von ihnen hat schon mal im „Bierpinsel“ ein Schulli getrunken, ist den Teufelsberg hinabgerodelt oder um die Kuhlake spaziert?

Die „Generation West-Berlin“ ist in die Jahre gekommen, und es ist kein Zufall, dass sie sich erst jetzt als solche entdeckt. Früher war man sich ja immer der Nabel der Welt und blickte mit Verachtung auf die Wessis herab, deren Turnschuhe kohortenweise über den Ku’damm trabten. Und auch vom Osten bekam man nicht viel mit, weil man wenig Lust verspürte, Tage vorher ein Visum zu beantragen. Aber an Weihnachten stellte man dann doch Kerzen in die Fenster, um an die Teilung zu erinnern, packte Westpakete und traf sich Silvester beim Karpfenkauf im Kaufhaus des Westens und Neujahr zum Boulettenfrühstück.

Kerstin Schilling, 1962 in Reinickendorf geboren, hat ein Büchlein geschrieben, das verschüttete Erinnerungen freilegt. Im Rückblick erscheint der Volkssport des Rabattmarkensammelns wie ein Relikt aus Schwarzmarktzeiten, die Sommergestaltung nach Scheckheft und Ferienpass gründete wahrscheinlich auf der gewohnten Visumspflicht. Am Wochenende fuhr man raus nach Lübars, wo Pferde über den Dorfanger trabten und Kühe grasten, vorausgesetzt, man hatte nicht wieder im „Dschungel“ oder im „Ballhaus Spandau“ durchgemacht. Burkhard Peter fotografiert diese kleine Welt in Schwarz-Weiß, gelegentlich verwischen die Konturen über vergessenen Reichsadlern an Fassaden oder Hochhausschluchten zu einem sanften Grauschleier. Ob man, wie der Titel nahe legt, tatsächlich von einer „Insel der Glücklichen“ sprechen kann, sei einmal dahingestellt. Die Insel West-Berlin war denn auch eher der gefühlte Zustand, den Klaus Schütz im Vorwort so beschreibt: „Fern von Westdeutschland und mitten in der DDR. Mit oder ohne Ironie, mit oder ohne Arroganz. Aber mit einer Spur von Stolz, dessen sich niemand zu schämen braucht.“

Kerstin Schilling: Insel der Glücklichen. Generation West-Berlin. Berlin: Parthas Verlag 2005, 143 S., 19,80 €. Buchpremiere am 18.8., 18 Uhr, im Kulturkaufhaus Dussmann, Friedrichstraße 90 (Ost-Berlin).

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