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Kultur: So spricht die Macht

Ivan Nagels Kommentare zu Terror und Gegenterror

Wenn Ivan Nagel über das Theater nachdenkt, geht es ums Ganze. Nicht um Moden, sondern um die Wahrheit. In seinem neuen Buch, einer Sammlung von Reden und Artikeln der letzten drei Jahre, richtet Nagel den Blick auf ein größeres, obszönes Spektakel – das Propagandatheater der US-Administration. In Zeitungsartikeln und Wortmeldungen hält er seine Reaktionen auf den 11. September 2001 und die Folgen fest. Es sind Äußerungen der Angst und des Ekels angesichts der amerikanischen Kriegs-Politik.

Einige von Nagels Attacken auf Bush und Co. sind wenig originell, von der Feststellung, dass die Bush-Regierung nur von einer Minderheit der Amerikaner gewählt wurde bis zur so richtigen wie banalen Erkenntnis, Bushs Politik spalte die Welt. Genauer, schärfer werden Nagels Beobachtungen, wenn er das Schauspiel der Macht, die Selbstrepräsentation des Kriegsherren betrachtet: „Die Figur George W. Bush trennt sich nicht in wissende Person und gemimte Täuschung. Die Person ist nichts als die Rolle: ganz hohl, füllt sie sich mit den eigenen Lügen. Bush scheint dumm genug, um Bush fast alles zu glauben.“ Nagel bringt die Lügen der Propaganda, die Politiker-Reden und Flugzeugträger-Shows dazu, ihre versteckte Wahrheit offen zu legen. Der Semantik der imperialen Macht, die von „Befreiung“ redet, wenn sie einen Angriffskrieg meint, widmet er einen eigenen Aufsatz.

Stets ist Nagels Tonfall apodiktisch, aggressiv, entschieden. Die polemische Verve führt ihn gelegentlich zu unhaltbaren Übertreibungen. Empört über die Entschluss der Bundesregierung, die Vereinigten Staaten in Afghanistan zu unterstützen, spricht er beispielsweise im April 2002 von einen „Feldzug, dem wir anscheinend fröhlich entgegenstreben.“ Man mag von Fischer und Schröder halten was man will, „fröhlich“ plädierten sie kaum für die Bundeswehreinsätze. Interessanter als solche polemischen Zuspitzungen ist die prognostische Kraft von Nagels Diagnosen. Was er vor einem Jahr, wenige Tage vor Beginn des Irak-Krieges geschrieben hat, ist längst politische Wirklichkeit geworden: „Osama bin Laden kann sich nichts Besseres wünschen, als einen Sieg der USA über den Irak: Der Nachschub an jungen Terroristen wäre ihm für Jahrzehnte sicher.“

Dem Ekel, mit dem Nagel das Propaganda-Theater seziert, korrespondiert sein Beharren auf der Wirklichkeit des Krieges, der von der Propaganda systematisch entwirklicht wird. An Goya und David variiert Nagel dieses Grundthema seiner Essay-Sammlung: Hier die mitleidlose Perspektive der Macht, die Feier des Erhabenen im Ideendrama, da die Wahrnehmung des realen Schreckens, der alle Pathosformeln aufsprengt. Um diese Sichtbarmachung des Schreckens kreist auch Nagels Friedenspreisrede für Susan Sontag, das Herzstück des Buches. Der Text hat eine autobiographische Dimension. Nagel, zwei Jahre älter als die amerikanische Schriftstellerin, spricht von sich selbst, wenn er mit Sontag die Welt „in Menschen, die den Krieg kennen – und die ihn nicht kennen“ teilt. Vor Mächtigen, die, weil ihnen der Schrecken des Krieges fremd ist, skrupellos über Kriegseinsätze entscheiden, hat er Angst.

Ivan Nagel: Das Falschwörterbuch. Berliner Taschenbuch Verlag,. 138 Seiten, Euro 7,50. Heute um 20 Uhr präsentiert Nagel in der Akademie der Künste sein Buch.

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