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Jana Sotzko (hinten li), Theresa Stroetges (re.) und Christian Hohenbild von Soft Grid.

© Dagmar Weiß/promo

Soft Grid im Porträt: Alle Ketten gesprengt

Waghalsiger, experimenteller Pop: Die Berliner Band Soft Grid und ihr neues Album „Agency“.

Angenommen, man wollte die Vielgestaltigkeit der Berliner Musikszene in Form einer einzigen Band dokumentieren. Quasi eine urbane Supergroup konzipieren. Wie wäre es dann mit einer Post-Punkerin, einer mit Hang zu melancholischer Poesie. Dazu eine an klassischen Instrumenten ausgebildete Soundkünstlerin, der man ihr Auslandssemester auf Island anhört. Und ein studierter Jazz-Schlagzeuger, der nebenbei etwas von elektronischer Musik versteht. Klingt äußerst waghalsig? Das würden die Bandmitglieder von Soft Grid wohl unterschreiben.

Kopflastig sind Jana Sotzko, Theresa Stroetges und Christian Hohenbild das mit der Band ohnehin nie angegangen. „Mit den Ohren denken“ lautete schließlich das Credo des fächerübergreifenden Studiums des Klanges an der Universität der Künste Berlin, das Sotzko und Stroetges absolviert haben. Abseits der Seminarräume bekannten sich die zwei Musikerinnen schon lange als Fan des jeweils anderen Schaffens. Erstere war Sängerin und Gitarristin der Formation Dropout Patrol, zweitere wirkt seit Jahre als Multiinstrumentalistin und Videokünstlerin, unter anderem im Synthpop-Projekt Golden Disko Ship. Einen ersten Anlauf zur Kollaboration unternahmen Sotzko und Stroetges im audiovisuellen Improvisationsprojekt Epiphany Now. Ihre Leitlinie: „Alles kann passieren, nichts muss.“ Vielleicht wollte es dann einfach passieren, als ein Bekannter ihnen 2014 den Schlüssel zu seinem Studio in einer ehemaligen Lungenheilanstalt für Kinder in Potsdam aushändigte. Verbunden mit der Aufforderung: „Tobt Euch aus!“ Und sie tobten. Ein 48-Stunden-Jam. Teile dieser improvisierten Sessions landeten auf einem ersten Demo-Tape, das die Grundlage für die fünf Stücke des 2016 veröffentlichten Debütalbums „Corolla“ bildete. Kritiker feierten die wendungsreichen Songstrukturen, die durch sämtliche Gefilde der Popmusik mäanderten.

Selbst Autotune und Streicher haben ihr Plätzchen.

Nun also das lästige zweite Album. Bewusster im Songwriting sollte es werden. Organischer im Sound. Am Ende des Prozesses steht „Agency“, wie sie das Album betitelt haben. Fünf Stücke mit bis zu elf Minuten Länge. Und bereits der Opener „PPPY CNNN“ verdeutlicht, dass Soft Grid sich erneut nicht um eine klare Einordnung scheren. Was in einem elegisch-hymnischen Gesang beginnt, wird schnell von einem pulsierenden Bass und einem galoppierenden Synthie-Arpeggiator davon getragen. Synthpop der achtziger Jahre mit komplexen Strukturen des Krautrock, bis sich die Kompositionen wie in „A Century Behind“ in Kaskaden von schreienden Gitarren und Beckengewittern die Gehörgänge herabstürzen. Selbst Autotune und Streicher haben ihr Plätzchen. So wird man Zeuge einer 37-minütigen Metamorphose, eines Prozesses des fortwährenden Herausschälens, in dem sich Momente der radikalen Dekonstruktion mit einer leichtfüßigen Spielfreude abwechseln. Passend dazu die Entfremdungserfahrungen, die in den Texten zum Ausdruck kommen. Auch wenn es wie in „Airplane“ nur darum geht, in einem Flugzeug festzustecken.

Nicht von ungefähr benennt das Label Antime Records in seiner Pressemitteilung verschiedenste Referenzgrößen. Das polyrhythmische Chaos der New Yorker Band Battles, die verschrobenen Soundcollagen von Animal Collective, die hypnotische Schwere von Warpaint oder die Ungestümheit von Slint, den einstigen Wunderkindern des Post-Rocks. Die zahlreichen Bezüge sind Ausdruck einer ästhetisch-schöpferischen Binnenspannung innerhalb der Band. Die unterschiedliche musikalische Sozialisation ist dabei kein Hindernis. „Vielmehr ein Ressourcentopf, aus dem wir durch regen Austausch schöpfen können“, erklärt Stroetges.

Tobias Levin hat das neue Soft-Grid-Album produziert

Bei allem eklektischen Charakter sind die Kompositionen minutiös durchgeplant. Allein deswegen, weil die Band bei Konzerten permanent Instrumente tauschen muss. Auch eine Herausforderung für das jüngste Mitglied am Schlagzeug. Nachdem sein Vorgänger Sam Slater sich in die Solokarriere verabschiedet hatte, erschien Hohenbild Anfang 2018 zum Vorspiel. Bereits nach zehn Minuten war klar, dass er die Einstellungskriterien von Sotzko und Stroetges rundum erfüllte: „Er hat beides mitgebracht: fluffigen Groove und physische Brutalität“, erinnert sich Stroetges. Zusätzlich etablierte Hohenbild 7/8-Takte und „abgefahrene Jazz-Akkorde“ in der Band ein.

Letztlich blieb nur noch eine Frage offen: Wer sollte diesen hybriden Wirbelwind auf Vinyl bannen? Ganz oben auf der Wunschliste stand Tobias Levin, ein Meister des Unkategoriesierbarens, Produzent von Bands wie Tocotronic, Messer oder Kante. „Wir wollten einen feinen, ausdifferenzierten elektronischen Sound auf dem Stand von 2019 und, dort wo es nötig ist, fett und gewaltig klingen“, sagt Stroetges, „Das hat Levin hervorragend umgesetzt.“

Alle Mitglieder von Soft Grid sind längst jenseits der 30. Nach den Regeln der Kulturindustrie zu spät für den großen Durchbruch. Dafür jedoch befreit vom Druck der Konventionen, wie Sotzko beinahe erleichtert ausführt: „Früher dachte man noch darüber nach, was die Erwartungshaltung der Zuhörer sein könnte. Mit Soft Grid fühle ich mich das erste Mal vollkommen frei. Das ist meine Tabula Rasa.“ Womöglich mag „Agency“ zu lieblich sein für die Punker. Zu unterkomplex für die Jazzer. Zu unerdig für die Elektroniktüftler. Doch im Bandnamen deutet es sich an: Die Gitterstäbe der musikalischen Einzelhaft hat das Trio aufgebogen. Die Ketten gesprengt. Am wohlsten fühlen sich Soft Grid auf der Flucht vor der Genre-Polizei. Und „Agency“ ist eine extrem starke Bewerbung für ein Exil auf Bühnen und in Plattensammlungen.

Konzert: Soft Grid spielen am heutigen Freitag, 24.5., 20 Uhr im Urban Spree

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