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Kultur: Sokrates diskutiert hier nicht mehr

Von Falk Jaeger Es war 1928, als die Teilnehmer der weltweiten „Congrès Internationaux d´ Architecture Moderne“ (CIAM) sich Gedanken machten, wie die Probleme der menschlichen Behausung weltweit gelöst werden könnten. Wortführer wie Le Corbusier knüpften daran an und entwickelten weitere Welt-entwürfe.

Von Falk Jaeger

Es war 1928, als die Teilnehmer der weltweiten „Congrès Internationaux d´ Architecture Moderne“ (CIAM) sich Gedanken machten, wie die Probleme der menschlichen Behausung weltweit gelöst werden könnten. Wortführer wie Le Corbusier knüpften daran an und entwickelten weitere Welt-entwürfe. „Broadacre City“ nannte Frank Lloyd Wright 1932 seine Stadtutopie, die mehr eine Unstadt darstellte – sie bot auf dem „American Grid“, dem landesweiten Quadratraster, Haus und Garten für alle, dazu in normierten Entfernungen die notwendige Infrastruktur. Eine radikal funktionsorientierte Vorstellung, in der eine unverwechselbare, urbane Heimat stiftende Identität nicht mehr vorgesehen war. „Das Broadacre wird alle überflüssig gewordenen Klein- und Großstädte absorbieren und verschwinden lassen“, verkündete Wright die Auflösung der Stadtkultur.

Mit der weltpolitischen Krise wechselten die Prioritäten, im Zweiten Weltkrieg zerstoben internationale Kontakte, Organisationen und Initiativen. Wenn heute Architekten aus 180 Ländern in Berlin zusammenkommen, um über Stadt und Gesellschaft nachzudenken, ist vom Optimismus der CIAM wenig mehr zu spüren. Man hat den Glauben an die Planbarkeit der Städte verloren. Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den unabänderlich scheinenden politischen und ökonomischen Verhältnissen wirkt lähmend. Doch Bauen ist ein optimistisches Unterfangen, und so entwickelt die Architektenschaft trotz allem neue Visionen.

Jahrzehntelang hatten die Protagonisten der Moderne und die Herolde der Postmoderne eine Scheindiskussion um formale Fragen, um Askese und Dekor, Säule und Bogen geführt. Unterdessen wucherten die städtischen Agglomerationen in den Entwicklungsländern in bisher unvorstellbare Dimensionen. In den Schwellenländern wachsen Hochhausstädte in hektischem Stakkato in die Himmel Ostasiens. Auf die Frage, wie Menschen wohnen und arbeiten, also gemeinsam leben sollen, wissen auch Architekten und Stadtplaner keine schlüssige Antwort. Die von der Euphorie des technischen Fortschritts beflügelten Utopien der sechziger Jahre mit ihrem technoiden Megastrukturen hatten keinerlei Wirkungen, die Visionäre verfielen in Agonie. Wenn heute Architekten über den städtebaulichen Maßstab hinausdenken, wie zum Beispiel das Rotterdamer Stararchitekturbüro MVRDV mit seinen stapelbaren Stadtlandschaften – eine Miniatur davon war der umjubelte niederländische Pavillon auf der Expo in Hannover -, dann stricken sie an den Utopien weiter, als sei nichts geschehen. Oder sie provozieren, indem sie eines radikalen Wertewandel vorschlagen: so Rem Koolhaas, der seine Liebe zur afrikanischen 15-Millionen-Slum-Metropole Lagos entdeckt hat. Man müsse die Verhältnisse akzeptieren, wie sie sich entwickeln, predigt er und empfiehlt das Rezept der Selbstorganisation: Weil die Stadt und der korrupte Staat nicht die notwendige Infrastruktur bieten, organisierten sich die Menschen selbst, und das funktioniere. Doch auf welchem Niveau? Die Menschen leben in Armut und Kriminalität, ohne Bildung und Gesundheitsfürsorge - eine erstrebenswerte Perspektive?

Das Heil von gestern

So stehen Architekten ratlos der Bevölkerungslawine gegenüber. Unter 300 Millionenstädten gibt es Giga-Cities mit mehr als 15 Millionen Menschen, die man Einwohner nicht nennen mag. Fünf sind es heute, 15 sollen es in dreizehn Jahren sein. Zwei Drittel der Menschen werden dann in Städten wohnen. Wenn schon die „organisch“ gewachsenen Orte der Alten Welt ihre Probleme haben und am Verkehrskollaps zu ersticken drohen, wie sollten die wie Springfluten ins Land schwappenden Boomtowns mit mehr als 30 Millionen Bewohnern ein menschenwürdiges Leben ermöglichen? Was Wunder, dass „Stadtutopien“, wie sie heute gepflegt werden, mehr den Charakter von Fluchten haben: Rückzug in das Gestern, das Heil der vermeintlich besseren Vergangenheit. Im amerikanischen „New Urbanism“ verbinden sich die idyllischen Stadtentwürfe des Disney-Urbanismus mit der Tendenz zur sozialen Segregation. Das Elend wird ausgegrenzt, die Oberschicht zieht sich zurück in „Gated Communities“ mit Wachdienst und eigenen Gesetzen. Sogar die demokratische Selbstverwaltung ist obsolet, weil von niemandem gewünscht. Den „Bürgermeister“ stellt die Investmentgesellschaft, die Hausordnung wird zur Stadtordnung ausgeweitet und regelt das Zusammenleben vom Rasenschnitt bis zum Wohltätigkeitsbasar. Retrospektive Architektur hat auch in Europa eine gewisse Konjunktur, wenngleich sie nicht als Heilsbringer angesehen wird.

Indes wird das amerikanische Prinzip der Privatisierung des öffentlichen Raums auch in Europa bereitwillig aufgenommen – für die Shopping Malls, die neuen Zentren städtischen Öffentlichkeit. Shopping ist für den neuen Städter der Zeitvertreib, die „letzte Form des öffentlichen Agierens" (Koolhaas). Es ist die neue Herausforderung für die europäische Stadt, während die klassischen Funktionen der Polis verkümmern. Die Entmischung der Funktionen schreitet voran, mit gravierenden Folgen für die Innenstädte. Wohnen, Produzieren, Handeln, sich Versammeln, das Familienleben und die Zerstreuung, diese urbane Mischung reduziert sich auf Büroarbeit und Entertainment. Der Handel tendiert in die randstädtischen Einkaufszentren. Zurück bleibt dann die Innenstadt als Kulisse, in der die Einwohner Städter spielen. Und die Kommunen reagieren mit der periodischen Festivalisierung des Stadtlebens. Die Stadt aber als Ort der alltäglichen sozialen Kontakte verkümmert.

Sokrates diskutiert nicht mehr auf der Agora. Vielleicht diskutiert er im Internet, denn die Futurologen propagieren die Auflösung der Städte und deren Translozion in den virtuellen Raum des Cyberspace. Alles künftige Leben, die Kommunikation, die Unterhaltung, der Handel würden in naher Zukunft elektronisch und weltweit abgehandelt. Die Städte würden deshalb verzichtbar. Informationstechnologien und sozialer Wandel, meint der kalifornische Soziologe Manuel Castells, führe nicht nur zu einem „veränderten Layout" der Städte. Auch die herkömmlichen Verhaltensmuster würden aufgebrochen und verwandelten sich in ein „flüssiges Netzwerk von Austausch, das die Basis für das Entstehen einer neuen Art von Raum, dem Raum der Ströme bildet".

Der bunten Bilderflut jedoch mangelt es an sinnlicher Intensität. Vorschnelle Urteile sind sicher nicht angebracht, denn in zwei Generationen wird diese Intensität vielleicht erreicht sein und die perfekte Illusion virtueller Welten dem Menschen mit allen Sinnen vorgegaukelt; doch bis dahin werden Architekten gebraucht, die Umwelt zu gestalten und auch deren sinnlich-haptische Wahrnehmung zu ermöglichen.

Das Heil von morgen

Selbst in einer global vernetzten Welt wird es in absehbarer Zukunft keine Weltarchitektur und keine globalen Universalstädte geben. Auch wenn Medien und Philosophen mit dem großen Überblick imponieren und verführerisch ganzheitliche Denkansätze ventilieren, müssen die spezifischen Probleme am jeweiligen Ort gelöst werden. Überbevölkerung und Landflucht in der Dritten Welt erzwingen völlig andere Maßnahmen als Bevölkerungsrückgang und Leerstand hierzulande. Und so ist es wohl auch nicht unmoralisch, in Berlin über die Kulisse eines Faksimile-Schlosses oder steinerne Fassaden zu streiten, während in den Blechhütten der Slums von Lahore und Bangkok Hunger und Seuchen grassieren.

Was Planer und Architekten allerdings weltweit gemeinsam umtreiben sollte, ist die Verantwortung für die Umwelt. Die Studie „Global 2000“ mit ihren besorgniserregenden Thesen hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Ökologische Verantwortung ist nicht nur die des Einzelnen, sondern auch die des Gemeinwesens. Auch aus diesem Grund irrt Rem Koolhaas, denn mit Selbstorganisation ist die ökologische Misere der Millionenagglomerationen nicht zu mindern. Die Eingriffe des Menschen in das globale Ökosystem sind längst dabei, die Selbstheilungskräfte der Natur zu überfordern. Ohne Planung, ohne globale Umweltpolitik leben wir auf Kosten der Zukunft unserer Kinder – eine Erkenntnis so banal wie erschütternd.

Stadtplaner und Häuserbauer beginnen zu begreifen, dass sie mit der „Ressource Architektur“ einen wesentlichen Beitrag zur Weltökologie leisten könnten. Nun gilt es, die Bauherren und Investoren weltweit davon zu überzeugen, dass „intelligente“ Gebäude eigentlich ohne Energiezufuhr auskommen müssten und dass sie umweltschonend recycelt werden könnten. Die Länder der Alten Welt haben hier die Aufgabe, Entwicklungen vorzugeben, und vielleicht gelingt ja dereinst, nach dem Beispiel der verbrauchsoptimierten Automobile auch das Nullenergiehaus in Nordamerika populär zu machen. Dazu muss es sich jedoch zunächst hierzulande auf breiter Front durchsetzen. Die Technik dazu existiert, nur fehlt es am entschiedenen politischen Willen. Vielleicht hat man ja das Ohr des Kanzlers und der Fachminister, wenn sie am 23. Juli den internationalen Architektenkongress eröffnen.

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