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Kultur: Some like it hot

Christiane Peitz misst die Körpertemperatur in der Hitze von Locarno Den Kollegen mit der Pfeife meide ich neuerdings. Es ist ein wirklich netter Schweizer, der sich noch dazu mit regionalspezifischen HitzevermeidungsStrategien auskennt.

Christiane Peitz misst die Körpertemperatur in der Hitze von Locarno

Den Kollegen mit der Pfeife meide ich neuerdings. Es ist ein wirklich netter Schweizer, der sich noch dazu mit regionalspezifischen HitzevermeidungsStrategien auskennt. In der gesamten Schweiz sind nämlich die Ventilatoren angeblich ausverkauft. Macht aber nix: Hundert Meter Höhe, sagen die Tessiner, bedeuten ein halbes Grad weniger. Wenn das Thermometer am Lago Maggiore 39 Grad anzeigt, sollte man also unbedingt eine Seilbahnfahrt zum nächsten Zweitausender-Gipfel erwägen. Der Kollege zieht bei solchen hilfreichen Erläuterungen gerne an seiner Pfeife – prompt flüchten die Umstehenden ins nächste klimatisierte Kino: Allein der Anblick der Tabakglut treibt einem den Schweiß auf die Stirn.

Wer auf dem Filmfest in Locarno Temperaturen von bis zu 40 Grad erlebt, begreift viel über die Macht der Fantasie. Filmfestivals zelebrieren diese Macht ja naturgemäß, nach dem Motto: You get, what you see. Alle üblichen Hitzetipps – viel trinken, nicht bewegen, leichte Kleidung tragen – kann man getrost vergessen, schon allein, weil der Anblick von Filmkritikern in Sandalen und kurzer Hose zum Davonlaufen ist. Nein, man muss sich nur einmal den Zusammenhang zwischen Einbildungskraft und Körpertemperatur klarmachen. Regel Nummer eins: Schauen Sie sich auf keinen Fall afrikanische Filme an, auch keine Werke aus subtropischen Zonen oder Ferienliebesfilme. Wüstenlandschaften, Sonnenuntergänge und flimmernde Horizonte sind tabu. Besser ist Osteuropa: Da kommt das Elend auf der Leinwand so herrlich verregnet daher. Noch besser sind diese iranischen Filme mit bitterkalten verkarsteten Gebirgs-Schauplätzen, vereisten Bergbächen, zugefrorenen Seelen und ewigen Schneestürmen.

Nichts hilft besser gegen Hitzewallungen als Wille und Vorstellung. Gut, all die praktischen Maßnahmen vom Schlafen mit nassem T-Shirt oder gar Wadenwickeln (empfiehlt die Kollegin aus Zürich), von lauwarm Duschen (eiskaltes Wasser fördert die Durchblutung, warnt der Produzent aus Paris) bis zum mitternächtlichen Bad im Lago Maggiore (Vorsicht Bootsverkehr!) können nicht schaden. Manche versuchen, den Portier zu bestechen (vereinzelte Ventilatoren sollen noch kursieren), viel wichtiger jedoch ist die strikte Vermeidung der Jazz-Retrospektive. Nicht weil sie im ältesten, unklimatisierten Locarneser Kino läuft, sondern wegen der rauchgeschwängerten, sauerstoffarmen Nachtclub-Bilder und den effektvoll fotografierten Schweißperlen auf der Stirn des Saxophonisten. Allein die Filmtitel: „In the Heat of the Night“ oder „Hot Spot“! Selbst bei „Emergency Kisses“ klingt entschieden zu sehr nach Körperertüchtigung.

Mein Lieblingsfilm des diesjährigen Festivals heißt „Magische Handschuhe“ und stammt aus Argentinien. Darin versuchen ein paar Möchtegern-Unternehmer, mit dem Verkauf von Handschuhen schnelles Geld zu machen: Argentinien erleidet eine plötzliche Kältewelle. Schnee in Buenos Aires! Aber weil das Schlechtwetter die Lieferung der Ware bis zur nächsten Hitzeperiode verzögert, werden die Handschuhe zu Ladenhütern. Am Ende sagt der Held unter gleißender Sonne: Ich glaube, es wird bald wieder kalt. – Supercool, so viel Hoffnung.

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