zum Hauptinhalt
Gibt nicht auf: Anne (Susan Wanjiru) hat ihren Mann und ihr Haus verloren.

© Promo

"Something Necessary": Ihr Himmel, ihre Hölle

Tatort Kenia: „Something Necessary“, Film Nummer drei aus Tom Tykwers Afrika-Projekt, ist in Berlin vorgestellt worden. Während der Dreharbeiten wurde die Fiktion von der Realität eingeholt.

Regen tropft durch das Dach, die Wände sind schwarz vom Feuer, auf dem Boden liegen Bilder vom zertrümmerten Familienglück. Aber das Erste, was Anne reparieren will, ist die Schaukel für ihren Sohn, ein schwarzer Gummireifen, der früher an einem Baum im Garten hing. „Alles muss genau so sein wie vorher“, sagt die junge Frau Ende 20. Und doch ahnt sie, dass von jetzt an alles anders sein wird. „Himmel“ haben Anne und ihr Mann die kleine Farm getauft, die abseits in den Bergen von Kenias viertgrößter Stadt Nakuru liegt – und die für sie zur Hölle wird.

Es sind die Tage nach den Präsidentschaftswahlen in Kenia 2007. Der amtierende Präsident Mwai Kibaki und sein Herausforderer Raila Odinga beanspruchen beide den Sieg für sich, unter den verschiedenen Volksgruppen bricht Gewalt aus. Menschen werden auf der Straße niedergetreten, Häuser geplündert und niedergebrannt, wer sich wehrt, muss damit rechnen, getötet zu werden. Vor allem die Kikuyu zählen zu den Opfern, zu denen auch Anne gehört. Eine Bande von Jungs überfällt ihre Familie nachts auf der Farm, sie töten ihren Mann, vergewaltigen Anne, setzen das Haus in Flammen.

„Something Necessary“ heißt der Film, den die kenianische Regisseurin Judy Kibinge über Annes Geschichte und die Ausschreitungen gedreht hat und der am Mittwochabend im Berliner Kino Babylon-Mitte vorgestellt wurde. Es ist ein besonderer Film geworden, allein schon wegen seiner Entstehungsgeschichte. „Something Necessary“ wurde mithilfe des Vereins One Fine Day Film gedreht, den Regisseur Tom Tykwer und seine Frau Marie Steinmann 2008 gegründet haben und der unter anderem von der Deutschen-WelleAkademie unterstützt wird. Der Verein will dabei helfen, die afrikanische Filmindustrie weiterzuentwickeln: Erfahrene Regisseure, Drehbuchautoren, Kamera- und Tonexperten aus Deutschland arbeiten mit afrikanischen Filmtalenten in Workshops zusammen, am Ende wird ein Spielfilm gedreht. Nach den beiden mehrfach ausgezeichneten „Soulboy“ und „Nairobi Half Life“ (Tsp. vom 12.10.2012) ist „Something Necessary“ der dritte Film, der auf diese Weise entstand – und der eine Geschichte erzählt, wie sie tausenden Kenianern im Zuge der Wahlunruhen 2007/2008 widerfahren ist. 1100 Menschen starben, 600 000 mussten flüchten, schätzt eine Untersuchungskommission.

Regisseurin Kibinge und Drehbuchautor Mungai Kiroga geben dem Schicksal dieser Menschen mit Anne ein Gesicht. Die junge Mutter, selbst Krankenschwester, wacht im Krankenhaus auf, ihr Sohn Kitur (Benjamin Nyagaka) liegt ein paar Zimmer weiter mit einer Rauchvergiftung im Koma. Als Anne entlassen wird, zieht sie zunächst in das herrschaftliche Haus ihres Schwagers Lesit (David Koprotich Mutai), doch sie will zurück auf ihre Farm, in ihren „Himmel“, der ihr in nur einer Nacht genommen wurde. Parallel zu Annes Geschichte wird die von Joseph (Walter Kipchumba Lagat) erzählt, dem jungen Bandenmitglied, der zu Annes Vergewaltigern gehört. Während seine Kumpels triumphieren, hadert er mit seiner Tat. Er verbrennt die Jeans, die er in der Nacht trug, doch seine Erinnerungen kann er nicht auslöschen. Als er per Zufall als Hilfsarbeiter eines Bauunternehmers auf Annes Farm zurückkehrt, beschließt er, ihr heimlich zu helfen. Aber seine Gang verzeiht ihm den Seitenwechsel nicht...

Hauptdarstellerin Susan Wanjiru hat zuvor noch nie vor der Kamera gestanden, Lesit-Darsteller Mutai schauspielerte zum ersten Mal. Aber die „Something Necessary“-Crew bringt etwas mit ein, worüber Profis nicht verfügen: eigene Gefühle und Erinnerungen an das, was die Familien, die Freunde und sie selbst während der Unruhen erlebten. Auch deshalb ist „Something Necessary“ ein starker Film. Während des Drehs wurde die Fiktion tragischerweise von der Realität eingeholt: Ein Teil der Crew wurde nachts in Nairobis Slum Kibera überfallen, eine Frau mehrfach vergewaltigt, ihre Kollegen ausgeraubt und zusammengeschlagen. Die Crew beschloss, dennoch weiterzumachen. Sie wollten sich ihren Film nicht zerstören lassen von dieser Nacht.

Am 4. März finden in Kenia wieder Präsidentschaftswahlen statt. Regisseurin Judy Kibinge ist optimistisch. „Ich bin zuversichtlich, dass das Land dieses Mal nicht erneut in Gewalt zerfällt“, sagte sie im Anschluss an die Vorführung von „Something Necessary“ in Berlin, der Film soll hier demnächst in die Kinos kommen, ein genauer Termin steht noch nicht fest. In Kenia wird er bereits seit Januar gezeigt, um im Vorfeld der Wahlen an das zu erinnern, was erst fünf Jahre zurückliegt.

Im Film versucht Anne, aus der Hölle wieder ein Stück Himmel zu machen. Am Ende muss sie erkennen, dass Glück auch ein Versteckspiel sein kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false