zum Hauptinhalt

Sommerkultur: Der neue Malerfürst

Das Leipziger Museum der bildenden Künste und die Münchner Pinakothek der Moderne feiern den 50. Geburtstag von Neo Rauch mit einer Doppelretrospektive.

Wohl selten ist um einen zeitgenössischen Künstler größerer Rummel anlässlich seines 50. Geburtstages veranstaltet worden. Normalerweise erfolgen die gediegenen Retrospektiven erst im höheren Alter, zumal wenn es sich um eine Doppelausstellung handelt wie nun im Leipziger Museum der Bildenden Künste und der Münchner Pinakothek der Moderne. Doch einen wie Neo Rauch gibt es in Deutschland eben nur ein Mal. Ein neuer Malerfürst wird damit inthronisiert, denn die großen deutschen Maler Gerhard Richter, Sigmar Polke, Georg Baselitz benötigen auf dem internationalen Terrain dringend einen Erben. Der Leipziger Künstler bringt alles mit, was es dazu braucht: eine großartige Peinture, erzählte Geschichten auf der Leinwand, lesbar durch ihre Gegenständlichkeit und doch voller Geheimnisse. Dazu ist Neo Rauch selbst eine Type, die sich verkauft: das Bild von einem Mann, der gewählt, mehr noch gewunden formuliert und auf geradezu betörende Weise von den somnambulen Seancen in seinem Atelier in der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig-Plagwitz erzählen kann, in denen der Kosmos seiner surrealen Figuren entsteht. Ein Künstler also, wie er im Buche steht und über den sich zugleich deutsche Malereigeschichte transportieren lässt. Studiert hat er bis 1990 an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Arno Rink und Bernhard Heisig, der Kaderschmiede für gegenständliche Malerei in der DDR, die bis zum Durchbruch von Neo Rauch im Westen von vielen kaum ernst genommen wurde. Hier konnte sich der Künstler in der Abgeschiedenheit einer Enklave in Ruhe entwickeln, da in den neunziger Jahren Figuration im Kunstbetrieb kaum gefragt war. Das sollte sich mit der Jahrtausendwende ändern. Plötzlich entdeckten die amerikanischen Sammler diese Ausnahmebegabung und mit ihm andere Talente, die an der Hochschule teilweise noch studierten und geradezu auf den Markt katapultiert wurden. Legendär sind die Geschichten von privaten Jets aus den USA, die eigens während der Tage offener Ateliers in der ehemaligen Baumwollspinnerei auf dem Leipziger Flughafen landeten. Bis heute geht Rauchs Erfolgskurve nach oben; für seine Bilder werden Summen im sechsstelligen Bereich bezahlt. Die anderen Protagonisten der Neuen Leipziger Schule, für die Rauch eher unfreiwillig als führender Kopf galt, treten inzwischen weniger in Erscheinung. Der aufgeheizte Markt hatte viele von ihnen dazu verführt, allzu früh, allzu Unfertiges aus dem Atelier zu entlassen. Das rächt sich nun. Neo Rauch allerdings, das erweist die Doppelretrospektive in Leipzig und München, kann sich auf sein solides Fundament verlassen. Beide Ausstellungen zeigen Werke seit Anfang der neunziger Jahre, jeweils rund 60 an der Zahl, von denen viele zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu sehen sind, da sie aus dem Atelier sofort in Privatsammlungen gelangten. An beiden Standorten sind die Gemälde nicht chronologisch gehängt, sondern thematisch bisweilen sogar klimatisch geordnet, etwa wenn die Bilder nach Farben sortiert sind. Trotzdem bringt der Besucher die Werke im Kopf immer wieder in ihre zeitliche Reihenfolge, um die Entwicklung des Künstlers nachzuvollziehen: Waren es in den frühen Jahren vor allem Figuren, die in ihrer Hemdsärmeligkeit und Statuarik der DDR-Arbeitswelt entsprungen schienen, eine Kreuzung aus Popart und Sozialistischem Realismus, so entstammen die heutigen Protagonisten in ihrer Kostümierung vom Ende des 18. Jahrhunderts, bekleidet mit Jakobinermützen und Sansculotte-Hosen. Nach wie vor gehen sie kryptischen Handlungen nach, bewegen sich gleichzeitig in verschiedenen Raum- und Zeitebenen, die sich auch zu Zonen vollständig abstrakter Malerei entwickeln können. Wer das persönliche Umfeld des Künstlers kennt, wird in der landschaftlichen Erhebung im Hintergrund so manchen Bildes den Brocken erkennen können, in dessen Nähe Rauch bei seinen Großeltern aufwuchs, da seine Eltern bei einem Zugunglück verstarben, als er gerade vier Wochen alt war. Gleichzeitig hat der Maler ein Faible für die Architektur der dreißiger Jahre, Häuser im Landhausstil mit Walmdach, wie er selbst eines mit seiner Frau, der Malerin Rosa Loy, bewohnt. Im Interview mit dem Tagesspiegel bekannte der Künstler, dass seine Bilder immer auch Selbstporträts seien, weshalb es ihn Überwindung koste, sie in der Öffentlichkeit zu zeigen. Gleichwohl bleiben sie für den Betrachter verschlüsselt und erzählen jedem eine andere Geschichte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false