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Nachtigall.

© dpa

Sommernächte (2): Die Nachtigall: Düüü düüü düüü, huit huit

Lang ersehnt, erträumt, erdichtet und erinnerungsträchtig: Sommernächte sind die schönste Auszeit des Jahres. In den Ferien erzählen wir an dieser Stelle davon. Diesmal: die Nachtigall.

Manchmal weht ihr Gesang von der nahen Verkehrsinsel über die Dächer bis hinein ins Fenster zum Hof. Du weißt nicht, ob du aufgewacht bist oder noch schläfst. Aber dir fällt wieder ein, während du ihrem Sommerlied lauschst, dass sich Jubel und Melancholie in keinem anderen Gesang der Welt derart untrennbar vermischen.

Düüü düüü düüü, huit huit huit, trrrra, trrra .... Sie beginnt mit einer langgezogenen Wehklage, ein, zwei, drei Pfeiftöne, leicht crescendierend. Der anschwellende Balzgesang schlägt um in eine kurze, wilde Koloratur, mit pendelnden Melodien und Intervallsprüngen in allerhöchste Höhen, die wiederum in Triller und Schluchzer münden, in Zwitschern und Zirpen. Die harten Triller mag sie besonders gern. Trrrra trrrr, taktaktak, der berühmte Nachtigallenschlag.

Der Sisyphos unter den Singvögeln

Vielleicht rührt daher die Melancholie: dass ihre unendliche Melodie aus ultrakurzen Strophen besteht. Himmelhoch jauchzend, und schon ist es wieder vorbei. Das nächste Jubilieren, die nächste Vollbremsung. Die Nachtigall ist die Weltmeisterin des Anfangens, der Sisyphos unter den Singvögeln, eine Virtuosin der Vergeblichkeit. Nicht dass sie sich gern wiederholt, ältere Vögel können bis zu 250 Variationen. Wenn eine Sequenz doppelt zu hören ist, dann nur, weil der eine Vogel dem anderen antwortet. Hallo, hallo, ich bin hier, du bist da. Echolot, Reviermarkierung: Nachtigallen, sagen die Experten, können sich Melodien merken wie unsereins Telefonnummern. Die langen Soli hingegen gelten der Liebsten, wer singt, ist immer ein Männchen. Was die Uhrzeit erklärt: Das Weibchen will gern nachts um zwei umworben sein.

Strawinsky widmete der Nachtigall gar eine Oper

Es war die Nachtigall und nicht die Lerche. Seit Jahrhunderten wird das unscheinbare, braune, nur 16 Zentimeter große Vögelchen seinerseits besungen wie kein anderes Tier. Von Shakespeares „Romeo und Julia“ über Klopstock, Keats und Eichendorff bis zu Beethovens Pastorale, Brahms und Chopin. Paul Gerhardt hat „die hochbegabte Nachtigall“ im schönsten Kirchenlied seit Erfindung der Gotteshäuser verewigt, Strawinsky widmete ihr gar eine Oper.

Der Vogel schert sich nicht drum. So viel Poesie die Nachtigall auch inspiriert haben mag, sie liebt Berlin, die prosaische Stadt. Kehrt von ihrer Winterreise aus der Subsahara besonders gern an die Spree zurück. Allein 1600 von bundesweit 9000 Paaren leben hier, in der Hauptstadt der Brachen und Trassen. Nachtigall, ick hör dir trapsen, typisch Berlin. Neulich wieder, auf der Oranienstraße, kurz vorm Moritzplatz. Mitten im Straßen- und Baustellenlärm schwingt sie sich auf. Die Nachtigall mag keinen Krach. Also hält sie dagegen. Und verwandelt Berlin für einen Moment in die Hauptstadt der Romantiker.

Weitere Texte der Serie: Draußenschlafen (10.7.), Sommerdüfte (16.7.), Weckerklingeln (20.7.), Marseille (24.7.), Hoteltipps (27.7.), Seenot (30.7.), Wintersehnsucht (2.8.), Glühwürmchen (7.8.), Dunkelheit (10.8.), Fähren (14.8.), Mücken (20.8.), Lebensfries (24.8.)

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