zum Hauptinhalt
Schwimmer im Sonnenuntergang.

© dpa

Sommernächte (9): Glühwürmchen: Zettels Traum

Lang ersehnt, erträumt, erdichtet und erinnerungsträchtig: Sommernächte sind die schönste Auszeit des Jahres. In den Ferien erzählen wir an dieser Stelle davon. Diesmal: Glühwürmchen.

Waren Sie schon mal ein sprühender Schwimmer? Ich habe das in einer heißen Sommernacht in der Ägäis erlebt. Da gingen wir im Mondschein schwimmen, und plötzlich funkte es: tausend flimmernde Sterne, nicht nur am Himmel, auch im Wasser, das buchstäblich zum Lichtermeer wurde. Offenbar eine Fülle von Plankton, das mit jeder Schwimmbewegung neu zu glitzern begann. Phänomenal.

In vielen Sommern an vielen Meeren habe ich das merkwürdigerweise nur in jener einzigen Nacht erlebt. Als wären dort Glühwürmchen baden gegangen. Auch an Land aber sind diese wunderbaren Flimmerwesen, die im Englischen so schön fireflies heißen, inzwischen eine Rarität – sind fast nur noch eine Erinnerung an Sommernächte aus Kindertagen. Ein Sommernachtstraum.

Giorgio Strehler, der italienische Meisterregisseur, hat einmal erzählt, dass er in seinen Kindertagen den tollsten aller Sommernachtsträume, nämlich Shakespeares gleichnamiges Stück, in Florenz gesehen habe: ein Gastspiel aus Berlin, wohl Anfang der 1930er Jahre, inszeniert von Max Reinhardt, dem größten Theatergenie der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Reinhardts immer wieder neu aufgelegter „Sommernachtstraum“ war legendär, seit er bei der Berliner Premiere 1905 einen echten Wald auf die Drehbühne gezaubert hatte und szenische Einfälle, die das Publikum dazu animierten, zum Schlussbeifall erstmals in der Theatergeschichte auch den Regisseur vor den Vorhang zu rufen.

Strehler freilich erinnerte sich, dass in der von ihm erlebten Aufführung der Wald von Athen, in dem Shakespeares „Sommernachtstraum“ bekanntlich spielt, auf magische Weise geleuchtet habe. Und er wusste, warum: „Reinhardt hatte vor der Premiere die Buben von Florenz gebeten, für ihn abends in den Boboli-Gärten lauter Glühwürmchen zu sammeln...“

Shakespears magischste Sommernachtserfindung

Ob die Anekdote stimmt und so etwas praktisch überhaupt möglich ist, sei’s drum. Die Italiener sagen: „Se non è vero è ben trovato“, wenn’s nicht wahr ist, so ist’s doch gut erfunden. Und der shakespearische „Midsummer Night’s Dream“ ist allemal die magischste Sommernachtserfindung. Allerdings ist darin der Spuk des Elfenkönigsgehilfen Puck auch sehr alptraumhaft. Beispielsweise verhext er den armen Weber namens Zettel in einen Esel und lässt die untreue Elfenkönigin Titania sich zur Strafe in ihn verlieben. Ein klarer Fall von Sodomie, doch so dunkel, dass dem erweckten Zettel hernach die Worte fehlen: „Des Menschen Auge hat’s nicht gehört, des Menschen Ohr hat’s nicht gesehen, seine Zunge kann’s nicht begreifen, und sein Herz nicht wiedersagen, was mein Traum war.“

Wir alle träumen wohl von zauberhaften Sommernächten. Aber Zettels Traum bleibt besser nur Theater oder, Arno Schmidt sei’s gedankt, Literatur.

Weitere Texte der Serie: Draußenschlafen (10.7.), Die Nachtigall (13.7.), Sommerdüfte (16.7.), Weckerklingeln (20.7.), Marseille (24.7.), Hoteltipps (27.7.), Seenot (30.7.), Wintersehnsucht (2.8.), Dunkelheit (10.8.), Fähren (14.8.), Mücken (20.8.), Lebensfries (24.8.)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false