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Zitronen am Baum

© dpa

Sommersouvenirs (8): Zitronen: Lorbeer und Limoncello

Urlaubsmitbringsel sind schön, selten, nützlich, überflüssig, trag- oder trinkbar. Christian Schröder fühlt sich bei italienischen Zitronen an Goethe erinnert. Teil 8 unserer Sommerserie.

Die Zitrone ist das Sinnbild der deutschen Italien-Sehnsucht. Beides – die Sehnsucht und das Sinnbild – geht natürlich auf Goethe zurück. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“, fragt er im „Gesang der Mignon“ in seinem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. „Im dunklen Laub die Goldorangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, / Kennst du es wohl? Dahin! Dahin.“ Der Drang gen Süden war groß beim Dichter. Auch die nostalgische Erinnerung. Er schrieb die „Lehrjahre“ 1795/1796, zehn Jahre, nachdem er zu seiner Italienreise aufgebrochen war.

Die seltsamsten und beeindruckendsten Zitronen meines Lebens habe ich im Garten eines Hotels in Pompeji gesehen, ungefähr 210 Jahre, nachdem Goethe dort die Ruinen besucht hatte. Die Zitronen wuchsen im Garten unseres Hotels, sie hatten die Größe von kleinen Kürbissen, ihre Haut war schrundig und ihre Farbe eher blassgelb als zitronig. An „dunkles Laub“ und Lorbeerbäume kann ich mich nicht erinnern. Auch der „sanfte Wind“ fehlte, es war Juni und sehr heiß. Ähnlich andersgelbe, unförmige Zitronen begegneten uns auch andernorts am Golf von Neapel. An den Ständen der Markthändler lagen sie neben ebenfalls bemerkenswerten, aberwitzig verformten Tomaten, die allen EU-Normen widersprachen. Für Touristen aus dem Norden wirken diese Kunstwerke von Früchten so, als hätten die Händler sie nicht einfach ausgelegt, sondern kuratiert.

Aus den Tomaten entstanden in den Küchen unserer wechselnden Ferienhäuser Pastasoßen, die so süffig und fruchtig schmeckten wie Pastasoßen in Deutschland, so glaubten wir, nie, nie, nie schmecken. Aus den Schalen der Zitronen wird der berühmte Limoncello hergestellt, ein Likör, der südlich von Neapel, entlang der Amalfiküste und in Sizilien in jedem Restaurant nach dem Essen zu haben ist. Ob bereits Goethe ihn eingeschenkt bekam?

Eiskalt muss Limoncello sein, dann verbindet er sein sonnenverwöhntes und spritziges Aroma mit dem entscheidenden, leicht sauren Abgang. Auch in den Supermärkten und Souvenirshops gibt es den Trunk, in länglichen Flaschen, die wie fürs Handgepäck gemacht sind. Sie tragen Etiketten mit vielversprechenden Namen wie „Limoncello Capri“, „Villa Massa“ oder „Limoncello Petrone“. Im gelben Leuchten dieser Flaschen scheint sich die Sehnsucht des Italienreisenden zu erfüllen, mit ihnen kann er seine Erinnerungen an Pompeji, Goethe und den Sonnenuntergang bei Capri heimtragen. Befeuert wird die Hoffnung außerdem von der Tatsache, dass Limoncello 35 Prozent Alkohol enthält. Zu Hause angekommen, schmeckt das Getränk plötzlich nur noch wie ein klebriger, etwas zu süßer Fruchtlikör. Das Aroma der Fremde: verflogen. Die Heimkehr endet mit der Desillusionierung. „Dahin! Dahin!“, die Euphorie des Aufbruchs? Dahin, dahin.

Was man so mitbringt von der Urlaubsreise: Schönes und Seltenes, Nützliches und Überflüssiges, Trinkbares und Tragbares. Unsere Ferienserie mit kleinen Geschichten von Menschen und Dingen. Bisher erschienen: Bücher in fremden Sprachen, Flüssiges im Handgepäck, Lavendel, Blankbooks, Schalmeien, Steine und Keramik.

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