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Kultur: Sonderration für magere Hungerkünstler

Auf dem letzten "art forum" verblüffte eine Fototafel jeden, der das zugehörige Namensschild las.Sie zeigte Farbstreifen, weiter nichts.

Auf dem letzten "art forum" verblüffte eine Fototafel jeden, der das zugehörige Namensschild las.Sie zeigte Farbstreifen, weiter nichts.Sonstige Angaben erschöpften sich in technischen Details: computergenerierte Zeichnung auf entwickeltem Fotopapier und Dibond.Georg Herold - bekannt für lapidare wie dada-gewitzte Dachlatteninstallationen, Ziegelsteinbilder und Kaviermalerei - ist immer wieder für eine Überraschung gut.Aber ausgerechnet er, dessen Arbeiten meist wie improvisierte Basteleien aussehen, ein Überläufer ins Lager abstrakter Farbfeldforscher oder Fotolaboranten? Eine abwegige, absurde Vorstellung.

Was es mit Herolds Messestück tatsächlich auf sich hat, erfährt man nun in der Galerie Hetzler.Für seine Arbeiten von 1999 verwendet er wiederum solche Fototafeln: einige erneut farbig und gestreift, die meisten schwarzweiß.Nur, sie sind nicht allein ästhetischer Selbstzweck.Sie transportieren Texte, amtliche Mitteilungen, Schriftstücke."Effektenaufstellung", "Beschlagnahmung eines Mopeds Marke Simpson Star", oder "Abgangsverhandlung" lauten die "Betreff"-Vermerke der reproduzierten Akten.Formulare, Formulare: im Fall Herold von der Einlieferung bis zur Entlassung aus dem Knast.

In blechernem Beamtendeutsch wird die Tagesorder für die Haftbedingungen des "Beschuldigten Nr.822" schriftlich zu Protokoll gegeben.Soll "StV" Standart-oder Staatsverpflegung heißen? Meint "sonder" eine Sonderration für magere Hungerkünstler? Zusätzliche Erklärungen sind überflüssig.Das System in seiner spezifischen Sprache kommentiert sich selbst: eine bürokratische Ordnung, die prinzipiell keinen Unterschied macht, ob sie Menschen verwaltet oder ein Bündel Bleistifte.

"Zeigefinger vergessen, Anweisungen vermeiden" lautet mit das einzige Postulat, das Herold für sich gelten läßt.Der in Jena geborene Künstler, der heute in Köln lebt, besteht auf Ambivalenz.Offen bleibt, ob er den Arbeiten reale oder fiktive Dokumente zu Grunde liegt.Alle Indizien sprechen aber klar dafür: der "Beschuldigte Nr.822" ist Herold selbst.Im Juni 1973 versuchte er als Camper getarnt in der Tschecheslowakei über die grüne Grenze in den Westen zu gelangen.Der Versuch mißlang.Herold wurde inhaftiert und wegen Republikflucht angeklagt.Mit Einsicht in seine Gauck-Akten gewann das Thema erneut Aktualität.

Den Fototafeln (29 000 bis 45 000 Mark) zwischengeschaltet sind Arbeiten mit Spiegelfolie (44 000 bis 48 000 Mark).Sie konfrontieren den Galeriebesucher mit dem eigenen Zerrbild.Eine Installation bei Hetzler trägt den gleichen Titel wie Herolds Retrospektive in der Kunsthalle Zürich: "Retro Visage".Anhand von Dias läßt er sein Werk der letzten zwanzig Jahre Revue passieren.Die Überlagerung von fragmentarischen Lebenszeichen, Kunstsignalen: ein verworrenes, diffuses Schnittmusterlabyrinth (45 000 Mark).Einmal mehr zerschreddert Herold mit lustvoller Anarchie den hehren Anspruch der Kunst, Ewigkeitswerte zu schaffen.Mit der für ihn typischen, lakonischen (Selbst-) Ironie hinterfragt er zugleich soziale, gesellschaftliche Mechanismen und deutsche Geschichte.Das Politische ist bei Herolds biografisch gefärbtem Kunstkommentar privat, das Private politisch: spöttisch, frei von Larmoyanz spielt eins ins andere.

Galerie Hetzler, Zimmerstraße 89, bis 5.Juni; Dienstag bis Sonnabend 11 - 18 Uhr.

ELFI KREIS

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