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Jeff Tweedy

© imago/Agencia EFE

Songwriting-Buch von Jeff Tweedy: Arbeit und Struktur

Der Sänger Jeff Tweedy hat mit seiner Band Wilco seit den 90er Jahren den Indierock geprägt. Nun erklärt er in einem Buch, wie man Songs schreibt.

Das Schreiben von Songs haben schon viele beschrieben. Tom Waits war der Ansicht, man müsse den Dingern auflauern, sie jagen und ihnen anschließend das Fell abziehen. Auf Neil Young geht eine Sentenz zurück, die in etwa besagt, wer geduldig genug mit einem Reservoir hoch droben über den Wolken in Kontakt tritt, auf den komme der fertige Song irgendwann wie von selbst herabgeregnet. Jeff Tweedy hingegen ist sich „ziemlich sicher, dass ICH es bin, der die Arbeit erledigt“. Fragt sich nur, wer das ist, und welchen Job er da macht.

Die Literaturwissenschaft hält für solche Fälle das schöne Wort Produktionsästhetik parat. Seit es sie gibt, geht sie der Frage nach, wer oder was aus Texten spricht und wie die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben vonstatten geht, wobei die Annahme eines göttlichen Funkens seit längerem schon dem schlichten Werkstattbericht Platz gemacht hat. Im weiten Feld der Popkultur hingegen überwiegt noch immer die Ansicht, das Herstellen von Songs sei keine Frage der Technik, sondern eine Art mystischer Prozess, bei dem ein privilegiertes Wesen Geheimbotschaften entgegennimmt. Jeff Tweedy, Kopf und Songwriter der Band Wilco, leistet in dem Punkt überfällige Aufklärungsarbeit.

Im Weinberg des Songs

In seinem Buch „Wie schreibe ich einen Song“ geht Tweedy die Sache von der handwerklichen Seite her an. Wer sich im Songwritergewerbe versuchen will, sollte zunächst seine Ansprüche herunterschrauben: Der Legende vom trunkenen Genie misstrauen! Nicht gleich Bob Dylan sein wollen! Stattdessen lieber Tugenden wie Beständigkeit und Routine zur Gewohnheit werden lassen. Ein Arbeiter sein im Weinberg des Songs. Natürlich geht es nicht ohne Inspiration, die berühmte Muse spielt nach wie vor eine Rolle, doch ist sie vom Wesen her längst nicht so launisch, wie ihr nachgesagt wird. Im Gegenteil: Man kann sie einladen, hofieren, notfalls sogar überlisten.

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Die Tür zum kreativen Prozess aufstoßen, nennt Tweedy das. Es ist ein angenehm praxisorientierter Leitfaden, den er in 24 Kapiteln entrollt, Tipps für die entsprechende Lebensführung: Auch mal an die frische Luft gehen! Früh aufstehen! Nicht zu spät zu Bett gehen! Zwischendurch an den Partner denken. Dass dabei eine pädagogische Ader durchschimmert, mag biografisch begründet sein: Tweedy, in seinem Metier eine anerkannte Größe, hatte jahrelang mit Alkoholproblemen zu kämpfen, die er in seinem ersten Buch, einer Autobiografie, in aller Anschaulichkeit beschrieben hat. Insofern lässt sich sein „Young Man’s Guide to Songwriting“ auch als privatästhetisches Ausnüchterungsprogramm lesen.

Diebstahl ist manchmal erlaubt

Und doch geht es um mehr als um ein weiteres Stück Ratgeberliteratur. Wo Tweedy dem konkreten Schreibprozess zuleibe rückt, kommt er einer Poetik des Songs ziemlich nahe. Er macht sich Gedanken über den richtigen Gebrauch von Adjektiven, widmet sich der Frage, wo Diebstahl erlaubt ist und wo nicht, wird aber auch immer mal wieder grundsätzlich. Der Song, wie Tweedy ihn versteht, entspringt einem Zusammenspiel von Konzentration und Absichtslosigkeit, er ist, mit anderen Worten, eine Kunst des Augenblicks, bei dem Skills und Erfahrung eine ebenso große Rolle spielen wie die Bereitschaft, sich von seiner eigenen Fantasie auf dem falschen Fuß erwischen zu lassen. Ähnlichkeiten mit zen-buddhistischen Praktiken und der freien Assoziation der Psychoanalyse sind dabei beabsichtigt.

[Jeff Tweedy: Wie schreibe ich einen Song. Aus dem Englischen von Philip Bradatsch. Heyne Verlag 2022, 160 S, 19 €.]

Nicht dass der Song hier noch einmal neu erfunden würde. Homer und andere Lagerfeuerdichter werden als Vorfahren herbeizitiert. Auch dem heiligmäßig über den Dingen schwebenden Bob Dylan, an dem am Ende natürlich doch kein Weg vorbeiführt, wurde bereits nachgesagt, amerikanisches Liedgut mit Techniken der europäischen Avantgarden kurzgeschlossen zu haben: Bewusstseinsströme, innere Monologe, Sprechen in Rollen und Masken.

Verfahren wie diese trieben dem Popsong ab Mitte der Sechziger seine Naivität aus und öffneten ihm neue Wege. Während sich Dylan jedoch angesichts der vielen Interpreten, die ihm im Lauf der Jahre auf den Versen waren, in sein selbstgeschaffenes Mysterium zurückzuziehen pflegte, liefert Tweedy eine Anleitung zum Selberbasteln.

Cut-up-Techniken, Spontanmontagen, automatisches Schreiben, Zufallsarrangements – was das Arsenal der literarischen Moderne hergibt, taucht auch bei ihm auf, doch nimmt er dem Ganzen seine priesterliche Weihe. Um Songs zu schreiben, so Tweedys Botschaft, musst du kein Mitglied im Club der toten Dichter sein, es ist buchstäblich ein Job für Jedermann: Alles, was es braucht, ist eine Gitarre, ein Blatt Papier und den Willen, den Moment mit den zur Verfügung stehenden Mitteln festzuhalten. Den Nobelpreis für Literatur kriegt man so natürlich eher nicht. Aber ein paar Etagen tiefer werkelt sich's ja oft sogar befreiter.

Thomas Gross

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