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Kultur: Sonne in London

Die Frieze Art Fair behauptet sich als Hot Spot für internationale Gegenwartskunst

Wenn in London im Oktober die Sonne scheint, dann lacht die Stadt den Besucher an und alles ist vergeben und vergessen: der Verkehr, die Abgase, die horrenden Preise selbst für die einfachsten Dinge des täglichen Lebens. In solchen Momenten lächelt man unweigerlich zurück, freut sich des Daseins und nähert sich dem Regent’s Park in Hochstimmung. Zwar stehen empirische Erhebungen noch aus, aber es liegt nahe, dass solche Begleitumstände für eine Kunstmesse wie die Frieze Art Fair eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.

Jedenfalls ist die Stimmung am Eröffnungstag mehr als gut, Spannung liegt in der Luft, und manchmal meint man in Paris, Brüssel oder Mailand zu sein, derartig viele französische und italienische Wortfetzen mischen sich bei der private preview der Sammler und Kuratoren ins Englische. 160 internationale Galerien wurden in diesem Jahr zugelassen; es hätten drei Mal so viele sein können, wären alle Bewerbungen berücksichtigt worden. Knapp die Hälfte kommt von der britischen Insel und aus den USA, die andere Hälfte aus europäischen Ländern. Asien, Lateinamerika, der Nahe Osten und Kanada schrumpfen auf sechs Prozent der Teilnehmer. Bei ihnen handelt es sich um nicht weniger als „die führenden Galerien“, die von der Jury „handverlesen“ wurden. Solch Formulierung gehören zur gängigen Marketing-Prosa, wobei außer Acht gelassen wird, dass man auf Anhieb wahrscheinlich weitere 160 Galerien zusammenbekommen würde, die die gleiche Qualität zu bieten haben.

Lässt man nämlich einmal das schöne Wetter, die Aura und die klingenden Worte weg, stellt sich alsbald eine Art gehobenes Normalmaß ein. Und das bedeutet: Das Niveau ist hoch, aber nicht unerreichbar. Es gibt wenig Ausreißer nach unten, doch für euphorische Gefühle besteht auch kein zwingender Anlass. Betrachtet man das Ganze aus der Nähe, muss man die vollmundig angekündigten „most exciting and exhilarating“ neuen Arbeiten aus aller Welt zwischen all dem interessanten Durchschnitt schon sehr intensiv suchen.

Fündig wird der Besucher dann zunächst bei bekannten Namen: In der Sparte Rarissima offeriert Massimo Minimi aus dem provinziellen Brescia erstmals fünf kleine Gemälde (!) von Anish Kapoor (zusammen 50000 Pfund) und hat außerdem ein neues Pavillon-Modell von Dan Graham im Angebot (50000 Dollar). Dass sich die großformatigen Fotografien einer Performance von Vanessa Beecroft vom Juni 2004 in Florenz in einer ähnlichen Preisregion befinden (jeweils 35000 Dollar) mag man dagegen als Hinweis darauf verstehen, dass auf dem Markt momentan einiges aus dem Lot geraten zu sein scheint – ein Umstand, mit dem man auf der Frieze noch öfter konfrontiert wird.

Selten sind auch die Werke des 1976 verstorbenen schwedischen Künstlers Öyvind Fahlström auf Messen zu sehen. Aurel Scheibler (noch Köln, bald Berlin, 450000 Dollar) zeigt die „Life-Curve No. 1“ und eine sehr ansprechende „Mask of Paul“ (170000 Euro). Ansonsten setzt der Galerist mit Arbeiten von Paula Modersohn-Becker („Weiblicher Halbakt“, um 1903, Preis auf Anfrage) und Ernst Wilhelm Nay („Rot, Schwarz, Gelb“ von 1967) auf Klassiker. Was daran jung und aktuell ist, wissen die Götter. Das trifft auch auf die fünf Bilder von Josef Albers, eine Figurine von Henry Moore nebst späten Zeichnungen von Matisse und Picasso zu, mit der die Waddington Galleries aus London zu punkten versuchen. Immerhin haben sie sich dort einen geistreichen Scherz erlaubt, indem sie Eigenkopien von de Chirico aus den sechziger Jahren mit Andy Warhols Varianten derselben Motive („Piazza Italiana“) von 1982 kombinieren.

Doch die diesjährige Frieze beweist auch, dass hohe Erwartungen und rare Überraschungen kein Widerspruch sein müssen – und vor allem kommerziell überaus erfolgreich sein können. Galeriegrößen wie Eigen + Art, David Zwirner oder Gagosian warten mit erstklassigen Arbeiten von Chris Ofili (bei Zwirner für 800000 Dollar), Damien Hirst und Ed Ruscha (Peise nur auf Anfrage) auf. Und einmal mehr kann Gerd Harry Lybke bereits am ersten Tag vorübergehenden Ausverkauf vermelden: Ein zuckersüßes Gemälde von Martin Eder (50000 Euro), zwei Großformate von Neo Rauch (für je 180000 Euro) und ein Streifenbild von Carsten Nicolai (28000 Euro) fanden innerhalb weniger Stunden glückliche Abnehmer.

Doch nicht nur große Namen ziehen. Die Galeristin Diana Stigter aus Amsterdam verlangt für ein Gemälde der 1973 geborenen Holländerin Maaike Schoorel moderate 7600 Euro: Das fast vollständig weiße Bild mit dem Titel „Wedding“, auf dem sich erst nach längerem Hinsehen schemenhaft Umrisse einer Festtafel abzuzeichnen beginnen, wechselt vom Fleck weg den Besitzer.

Insgesamt besteht ein Zweifel daran, dass die Frieze ein geschäftlicher Erfolg werden wird. Hilfreich ist den Organisatoren vom gleichnamigen Kunstmagazin neben der aktuellen Marktlage auch der Hauptsponsor Deutsche Bank, der ein großzügiges VIP-Programm für in- und ausländische Sammler finanziert. Gleichzeitig gibt es auch in London offenbar immer mehr Hedgefonds-Manager, die ihre exorbitanten Verdienste auf sportliche Weise in Kunst anlegen. Nur an den eigenen Frieze-Projects sollte vielleicht noch gefeilt werden. Die große Installation aus Drahtwürfeln und allen möglichen Papieren von Michael Beutler in der Mitte der Messezelte weckt vor allem die Assoziation an etwas Aufgeblasenes, Überbewertetes und völlig außer Rand und Band Geratenes.

Frieze Art Fair, London, Regent’s Park, bis 24. Oktober täglich 11–19 Uhr (am 24.10. bis 17 Uhr). Weitere Informationen im Internet unter www.frieze.com.

Ulrich Clewing

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