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Sophie Maintigneux: Die Lichtzauberin

Eine Französin in Berlin: Wie Kamerafrau Sophie Maintigneux die Stadt im Kino zum Leuchten bringt

Alle schwärmen vom Wetter in Michael Kliers neuem Film „Alter und Schönheit“. Dieses spätsommerlich strahlende Berlin, das flirrende Sonnenlicht, das leuchtende Grün. „Das war ein ganz bescheuerter Sommer,“ widerspricht Kamerafrau Sophie Maintigneux. „Eine Stunde lang schien die Sonne, dann regnete es, dann war es grau, dann schien wieder die Sonne. Manchmal mussten wir alle zusammen die Regenwasserpfützen aufwischen, bevor wir drehen konnten.“ Was im Film als Sonne erscheint, ist nur Technik: Spiegel, Licht. Maintigneuxs Rat: „Nie im August drehen.“

Gibt es eine schönere Kunst, als die Wirklichkeit zu überlisten, damit ei ne höhere Art von Wirklichkeit entsteht? Sophie Maintigneux ist die Herrin über Sonne und Regen, Licht und Schatten, Wärme und Kälte. Und der Film „Alter und Schönheit“ lebt von dieser besonderen Stimmung, der Leichtigkeit, die der Geschichte um drei mit ihrem Leben hadernde Männer ihr ganz spezifisches Gewicht verleiht. „Wir haben für ,Alter und Schönheit‘ viel in Halbtotale gedreht. Weil man da am meisten von den Körpern sieht. Körper sind sehr wichtig in diesem Film, in dem alle so locker tun und eigentlich gar nicht locker sind.“

Halbtotale, frontale Kamera, klare Quadrage, differenzierte Tiefenstruktur, und am Ende, in der Schlussszene bei Bad Saarow, die Ausweitung in die Totale, die weite, leere Landschaft mit einem Baum in der Mitte: Das ist die besondere Grammatik des Films, die Maintigneux erfunden hat. Da fällt das Loslassen schwer: Als der Film angelaufen ist, fährt sie einen Abend lang von Kino zu Kino, um die Qualität der Kopien zu kontrollieren.

Die Französin, die 1988 aus Paris nach Berlin kam, bleibt die große Lichtzauberin unter den Kameraleuten in Deutschland. Gerühmt für ihr natürliches Licht, die klaren Einstellungen, den sensiblen Blick. Berlin, wenn Sophie Maintigneux es filmt, kann ganz zauberhaft schön sein. In „Alter und Schönheit“ ist dieser Blick auf die Stadt das eigentliche Ereignis.

Und tatsächlich: Es ist eine Liebesgeschichte, zwischen der Französin und ihrer Wahlheimat. Zwar atmet die Wohnung in Schöneberg französisches Flair, ist mit in Paris zusammengesuchten Möbeln bestückt, einem wackeligen Stuhl, einem wuchtigen Tisch und einer Spüle, die einst in einer Metzgerei stand. Doch was Maintigneux an Berlin fasziniert, ist gerade die Heterogenität, dieses Chaotische, Durcheinandergebaute, die in der Nachkriegsbebauung unterbrochenen Straßenachsen, die breiten Gehwege, der viele Platz und das viele Grün. Nicht zu vergessen die günstigen Lebensbedingungen. „Es ist immer noch eine moderate Stadt. Man kann hier gut leben, auch mit wenig Geld. Das ist sehr wichtig in meinem Beruf, wo viele Kollegen in Frankreich nur arbeiten, arbeiten, arbeiten, um zu überleben – und das an Filmen, die sie eigentlich gar nicht machen wollen.“

Das West-Berlin, in das Maintigneux 1988 kam, war anders, wilder, offener: „Ich war von Anfang an verliebt in die Stadt. Wenn man aus einem zentralisierten, regulierten Land wie Frankreich nach West- Berlin kommt, ist das ein anarchistischer Schritt. Damals sah man der Stadt noch sehr an, wie sie gelitten hat, im Laufe der Zeit. Die große Narbe der Mauer, die Spuren des Zweiten Weltkriegs waren immer noch präsent. Und gleichzeitig gab es jeden Abend Party, es war sehr lebendig, und ich war jung.“

Jung genug, um der großen Karriere schon zu Beginn eine Absage zu erteilen. Als 23-Jährige drehte Maintigneux mit Eric Rohmer „Das Grüne Leuchten“ und stand im Zentrum der französischen Nouvelle Vague. Und entscheidet sich schon drei Jahre später für einen Neu anfang. Eric Rohmer hatte sie nach „Das Grüne Leuchten“ und „Vier Abenteuer von Reinette und Mirabelle“ für einen weiteren Film angefragt, doch Sophie Maintigneux entschied sich lieber für einen deutschen Low-Budget-Film. Rohmer wählte stattdessen Diane Baratier, mit der er seitdem dreht, und die Karriere in Frankreich war gelaufen. „Heute hat man mich dort vergessen“, sagt Sophie Maintigneux, und es klingt nicht, als ob sie das bedauert. Die Entscheidung für Berlin war für immer.

Filme wie „Ostkreuz“, „L’amour“ oder „Heidi M.“ zeugen davon. Nur dass die finanziellen Bedingungen im deutschen Film so ungünstig sind, bedrückt Maintigneux nach wie vor. „Wenn ich in Frankreich erzähle, dass wir für einen Kinofilm nur 28 Drehtage hatten, dann zeigen die mir einen Vogel.“ Diese Bedingungen führten zu einer Formatisierung, die stark von der Fernsehästhetik geprägt sei. Weshalb am Ende auch alles gleich aussehe. Es ist ein ständiger Kampf um Diversifizierung, um Unabhängigkeit – und um Zeit: „Viele Schauspieler sind sich ihrer Sache zu sicher. Da wäre es die Aufgabe der Regie, diese Sicherheit aufzubrechen, so etwas wie Verunsicherung zuzulassen, damit die Szene lebendig wird. Aber dazu braucht man Zeit. Meistens ist die fünfte Klappe schon die letzte.“

Weshalb sie immer wieder gern zum Dokumentarfilm zurückkehrt: „Bei Dokumentarfilmen ist man sehr allein und muss selbst entscheiden, wem folge ich jetzt mit der Kamera. Das ist eine Frage der Intuition.“ Demnächst läuft der Film „Die dünnen Mädchen“ beim bundesweiten Festival „Über Macht“. Er porträtiert acht junge Frauen, die an Magersucht leiden und in einer Klinik leben. Regisseurin Maria Teresa Camoglio filmt sie bei einem Flamenco Kurs, bei dem die Frauen lernen, eine Beziehung zu ihrem Selbstbild aufzubauen. Und Sophie Maintigneux lässt die schmalen Gesichter strahlen, gibt den abgemagerten Körpern Geschmeidigkeit und Eleganz. „Beim Dokumentarfilm muss der Mensch vor der Kamera der Kamera vertrauen können. Das ist eine Frage von Respekt und Achtung.“

Dass es dabei wieder um eine Gruppe von Frauen geht, ist kein Zufall. Bei einem Workshop in Kabul 2005 mit 28 afghanischen Kameramännern fertigzuwerden – das ist für die zierliche Maintigneux eine willkommene Herausforderung. Denn der Kampf um Gleichberechtigung ist noch lange nicht vorbei – schon gar nicht in ihrem Beruf. „Eine 22 Kilo- Kamera zu handhaben, das schafft man mit etwas Training und Sport. Wir haben längst bewiesen, dass wir mit der Handkamera arbeiten können. Heute wäre es nicht mehr political correct, zu sagen, man wolle keine Frau an der Kamera. Aber die Vorurteile bleiben.“ Dass Frauen zum Beispiel mit der Kamera nicht schnell genug seien oder nicht in der Lage, ein großes Team zu managen. „Frauen drehen immer noch meistens Low-Budget-Filme. Ich warte auf den ersten großen Film, bei dem eine Frau die Kamera führt.“ Geheime Rache: Mit „Alter und Schönheit“ hat sie einen wunderbaren Männerfilm gedreht.

„Alter und Schönheit“ läuft seit Donnerstag im Kino. „Die dünnen Mädchen“ werden am 21.1. im Zeughauskino gezeigt.

Christina Tilmann

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