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Haxendick servierter Horror: Szene aus "Welcome to Germany"

© Florian Krauss

Sophiensäle: "Welcome to Germany": Hier geht's um die Wurst

Die Sau baumelt von der Decke - und zwingt die Besucher, über einen alternativen Heimatbegriff nachzudenken: Monster Truck mit „Welcome to Germany“ in den Sophiensälen.

Auf das Schwein des Anstoßes muss man nicht lange warten. Nach dem schunkelgemütlichen Beginn hängt die Sau auch schon am Haken. Um dann in einer 20-minütigen Sequenz fachgerecht filetiert und durch den Fleischwolf gedreht zu werden. Keine blutige Angelegenheit, weil das Tier vorpräpariert wurde. Aber hier geht’s um die Wurst, was schon im Vorfeld einen kleinen Bühnenskandal verursacht hat.

Die Produktion „Welcome to Germany“ des Performance-Kollektivs Monster Truck sollte Ende April in Leipzig Premiere feiern, wurde vom dortigen Intendanten Enrico Lübbe aber vorsorglich abgesagt. Was diese Sauerei soll, hätte sich ihm „inhaltlich nicht erschlossen“. Die Sophiensäle sind von robusterem Metzger-Gemüt, stellten sich nun demonstrativ hinter Monster Truck. Und ließen die Premiere nebst Kadaver-Qual über die Bühne gehen.

Wobei es ja durchaus legitim ist, das Recht des Tiers auf unversehrte Totenruhe gegen die Freiheit der Kunst abzuwägen. Aber der Gruppe aus Gießen mit ihrer Live-Zerlegung nur sinnleeren Schockwillen zu unterstellen, griffe eindeutig zu kurz. „Welcome to Germany“ schafft eine Volksfestatmosphäre mit forciertem Gruselfaktor und Hintersinn. Das Publikum sitzt auf Holzbänken bei Bockwurst und Bier, eingeschlossenen von einem Rondell aus bajuwarisch-folkloristischen Idylle-Bildern, das sich mit schwindelerregender Karussell-Geschwindigkeit zu drehen beginnt. „Erleben Sie ein Stück deutscher Geschichte, erleben Sie das Elend der Erniedrigten“, krakeelt eine Marktschreier-Stimme aus dem Lautsprecher. Thema des Abends ist die „Colonia Dignidad“, jene berüchtigte deutsche Kolonie in Chile, in der Vollkornbrot, Wurst und ein Image von Dirndlseligkeit verkauft wurden. Die aber tatsächlich eine Enklave des Kindesmissbrauchs und der Gehirnwäsche war. Und nebenbei Folterstätte des Pinochet- Regimes.

Monster Truck lässt diese Perversion des „Made in Germany“ in peinsam-pointierten Szenen auferstehen. Ein Alleinunterhalter in Lederhose bringt dummderbe Zoten unters Volk. Vom Band kommen Berichte ehemaliger Opfer der Colonia-Sekte. In Spitzbuben-Maskerade werden zeichenhaft Folterszenen performt. Als Soundtrack erklingt „Kein schöner Land“. Klar ist das alles plakativ. Einige Zuschauer werden unruhig, andere beißen mit demonstrativer ironischer Distanz in die Bockwurst. Aber darin liegt genau die Leistung von „Welcome to Germany“: Der haxendick servierte Horror zwingt in die Opposition. Nötigt dazu, einen alternativen Heimatbegriff zu formulieren. Einen, vor dem es nicht der Sau graust.

wieder 9. und 10. Mai, 20 Uhr

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