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Kultur: Sorge dich nicht, tanze

Von Sandra Luzina Auch ihr Geburstag ist für Judith Jamison nur ein Tag wie viele andere. In ihre Garderobe im New Jersey Performing Arts Center wird ein Blumenkorb nach dem anderen hineingerecht.

Von Sandra Luzina

Auch ihr Geburstag ist für Judith Jamison nur ein Tag wie viele andere. In ihre Garderobe im New Jersey Performing Arts Center wird ein Blumenkorb nach dem anderen hineingerecht. Zeit für ein Interview hat die Leiterin des weltberühmten Alvin Ailey American Dance Theaters trotzdem. Business as usual. Jamison wirft kurz einen Blick auf die kleinen Karten mit den Glückwünschen. Dann redet sie weiter. Eine Szene wie aus einem Hollywood-Backstage-Musical.

Im Broadway-Musical „Sophisticated Ladies“ hat die einstige Startänzerin eine Hauptrolle gespielt, und eine sophisticated lady ist Jamison ohne Zweifel. Sie hat Witz, sie strahlt eine kraftvolle Würde aus. Und weil heute ihr Geburtstag ist, blickt sie zurück auf die Anfänge. Was für eine Erfolgsgeschichte! 1958 fing alles an mit einer inzwischen legendären Performance von acht jungen schwarzen Tänzern in der 92nd Street Young Men’s Hebrew Association in New York. „Blues Suite“ hieß das Stück des unbekannten Choreografen Alvin Ailey. 44 Jahre später behauptet das AAADT seinen Rang als Weltklasse-Ensemble, ein Flaggschiff unter den amerikanischen Companies und obendrein kultureller Botschafter der USA. Tanz verbindet die Menschen – diese message formuliert keiner so überzeugend wie die Ailey-Company, ein multi-ethnisches Ensemble, das aber doch vornehmlich durch seine „black power“ begeistert.

31 Tänzer gehören der Company heute an, alle Altersklassen sind vertreten: Kritikerdarling Renee Robinson hat soeben ihr 20-jähriges Jubiläum bei der Company gefeiert, Dudley Williams ist sogar schon seit 1964 dabei. Jamison hat gerade den 19-jährigen Louis engagiert; seinen Nachwuchs rekrutiert das Ensemble aus der Junior Company Ailey II. Die Tänzer bleiben dort zwei Jahre nach Absolvieren der Ailey-Schule, einige schaffen dann den Sprung in die first company. „Jeder Tänzer versteht es, sich immer wieder neu zu erfinden“, so umreißt Miss Jamison das Erfolgsrezept. Es ist wirklich ein Ensemble ausgeprägter Individualisten. Brillante Performer, die beides in die Waagschale werfen: Body and Soul – Körper und Seele. Jamison versteht es, die Truppe zusammenzuhalten – und sie ist stolz auf ihre Tänzer. „Alvin hat seine Tänzer immer ermutigt, ihre Persönlichkeit auszudrücken“, sagt sie. „Bei uns sieht man keine Look-a-likes.“

„Dancing Spirit“ lautet der Titel ihrer Biographie, die von Jacqueline Kennedy-Onassis verlegt wurde. Ohne spirit keine Bewegung. „Mit spirit meine ich: an etwas glauben, das größer ist als du selbst. Ich glaube, mir wurde eine besondere Begabung verliehen von Gott. Und ich bin überzeugt, dass jeder von uns eine Begabung hat – wir vergessen es nur manchmal.“ Ihre Tänzer erinnert sie an ihre große Verantwortung als Künstler, sie ermahnt sie, einen behutsamen und sinnvollen Gebrauch von ihrem Körper zu machen. Jamison nennt diese Körper „Stradivari“: Es sind kostbare Instrumente. In den anderen ein Licht zu entzünden, das sei ihr als Tänzerin geglückt, und das versuche sie nun auch als künstlerische Leiterin, sagt Jamison. Alvin Ailey hat sie als seine Nachfolgerin bestimmt. Und sie hat es geschafft, das künstlerische Erbe lebendig zu halten. Zu einem Tanzmuseum ist die Ailey-Company nicht erstarrt.

„Ich befinde mich auf einer Reise, die lange vor mir begann“, sinniert Judith Jamison. Und fügt lachend hinzu: „Reise ist derzeit mein Lieblingsausdruck.“ Sie sieht sich in einer Generationenkette und einem Traditionszusammenhang. Oft fällt der Alvin – von ihrem Mentor spricht sie, als ob er höchst lebendig wäre. „Er ist gegenwärtig für mich und für alle Tänzer.“ Wenn die Company wie fast immer zum Abschluss Aileys Meisterwerk „Revelations“ tanzt, zu Gospeln und Spirituals, dann spürt man ansteckenden Enthusiasmus – dann rockt das ganze Theater. „Revelations“ entstand 1960. Harte Zeiten waren das, erinnert sich Jamison. „Viele Afro-Amerikaner meines Alters haben Eltern, die im Süden aufgewachsen sind. Stellen Sie sich vor: Meine Urgroßeltern waren noch Sklaven! Es war also genau der richtige Zeitpunkt, um ein Statement zu machen über die Schönheit, die Intelligenz und die Leidenschaft der Schwarzen. Und es schlug ein!“

Aileys Ideal war es von Anfang an, das reiche afrikanische Erbe mit der amerikanischen Modern-Dance-Tradition zu verschmelzen. Diesem Ideal ist die Company nach wie vor verpflichtet. Ihre ausgedehnten Tourneen haben das Alvin Ailey American Dance Theater in alle Kontinente geführt, in der Sowjetunion, in China oder in Südafrika feierte es Triumphe. Doch das Dance Theater ist mehr als nur eine Company. Der pädagogischen Arbeit widmete sich Ailey mit Leidenschaft, die Ausbildungsprogramme werden ständig weiterentwickelt. Durch die Gänge der Ailey School springen täglich mehrere hundert Schüler, Kids können im Sommer Ailey Camps besuchen. Neben den Förderprogrammen gibt es Initiativen in der Black Community, um auch sozial Schwache ins Theater zu holen. Das kann Türen öffnen, hofft Jamison. Und demnächst geht ein langgehegter Traum in Erfüllung: 2004 erhält die Company ein festes Domizil in New York, ein imposantes Glas-und-Stahl-Gebäude, der größte Tanzkomplex der USA mit Studios, einer Black-Box-Bühne und einer Bibliothek. Ermöglicht wurde dieser Bau durch eine Spende von 15 Millionen Dollar, weitere 12,5 Millionen stellt die Stadt zur Verfügung, die restlichen Gelder müssen mit Hilfe einer Finanzierungskampagne aufgetrieben werden.

In Berlin, wo die Ailey-Company ihr einziges Deutschland-Gastspiel gibt, werden zwei Programme gezeigt. Arbeiten aus vierzig Jahren Tanzgeschichte sind zu erleben, von Alvin Ailey sind neben „Revelations“ auch „Pas de Duke“ zu Musik von Duke Ellington und die unvergesslichen „Love Songs“ zu sehen. Die jüngsten Arbeiten stammen von Ronald K. Brown. „Back to the roots“ – für den jungen Choreografen war das nicht nur eine Parole. Für „Serving Nia“ studierte er traditionelle Tänze an der Elfenbeinküste, seine Choreografie ist eine Fusion aus west-afrikanischem Tanz und westlichen Stilen wie Street- und Club-Dance. „Nia ist Suaheli und bedeutet Ziel, Zweck“, sagt Jamison. Ihr Ziel hat die resolute Dame fest im Auge. Ihre Company bietet nicht nur atemberaubenden Tanz. „Celebrate life“ lautet ihre frohe Botschaft, und die trägt sie in alle Welt.

Alvin Ailey American Dance Theater, Gastspiel in der Staatsoper Unter den Linden, 16.-28. Juli, 20 Uhr.

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