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Kultur: Sotto voce: Jörg Königsdorf über Töne, denen die Worte fehlen

Kammermusik-Narren, die sich schon ein halbes Jahr auf das Konzert des Auryn-Quartetts gefreut haben, werden vermutlich säuerlich blicken, wenn sie auf den Programmzettel schauen. Denn da kommt dieses großartige Quartett endlich mal wieder nach Berlin, und dann wird ihnen von den knapp bemessenen anderthalb Musikstunden auch noch Zeit abgezwackt.

Kammermusik-Narren, die sich schon ein halbes Jahr auf das Konzert des Auryn-Quartetts gefreut haben, werden vermutlich säuerlich blicken, wenn sie auf den Programmzettel schauen. Denn da kommt dieses großartige Quartett endlich mal wieder nach Berlin, und dann wird ihnen von den knapp bemessenen anderthalb Musikstunden auch noch Zeit abgezwackt. Zwischen zwei Schumann-Streichquartette, auf dem Platz des eigentlich dahingehörenden dritten Werks, ist im Kleinen Saal des Konzerthauses nämlich eine Lesung implantiert: Walter Jens liest aus seinem Essay "Robert Schumann - ein innerer Monolog" und gibt der ganzen Veranstaltung damit ein wenig den Charakter eines Gottesdienstes, bei dem die Predigt musikalisch umrahmt wird. Das bietet natürlich all denen, die mit Klassik nicht so viel anfangen können, eine Start- und Interpretationshilfe, aber braucht die Musik das? Braucht sie nicht einfach offene Ohren bei den Zuhörern und gute Interpreten? Denn die Gefahr liegt auf der Hand, dass die Wort-Deutung taub macht gegen all die zuwiderlaufenden musikalischen Stimmungen, die erst die Vielschichtigkeit des Kunstwerks ausmachen. Besser wohl, man hätte den Jens-Vortrag vom Konzert abgekoppelt und den Auryns ein volles Programm zugestanden (231 1.).

Dabei gibt es natürlich auch Musik, der durch Wortbegleitung auf die Beine geholfen werden kann. Rein quantitativ ist das sogar der überwiegende Teil - all das, was eben nicht genial ist und aus sich selbst heraus noch etwas vermitteln kann. Die Salonmusik des 19. Jahrhunderts ist so ein Feld, bei dem ein reines anderthalb-Stunden-Musikprogramm von Morceaux, Pezzi und Capricen nur zu Übersättigung führen würde. Gerade solche Stücke glänzen erst, wenn sie richtig gefasst und präsentiert werden, am besten in einem plüschverhangenen Gründerzeit-Salon bei Kaffee und Kuchen. So weit ist die Philharmonie leider mit ihren erfolgreichen Philharmonischen Salons nicht gegangen. Die einzigen Süßwaren, die Peter Simonischek und die beteiligten Philharmoniker ab 16 Uhr in der stocknüchternen Operationssaal-Atmosphäre des Kammermusiksaals auftischen, sind musikalischer Natur. Diesmal aus dem St. Petersburg der Tschaikowsky-Zeit, wo allerhand Putziges im Stil von Anatol Liadovs "Musikalischer Schnupftabaksdose" produziert wurde. Es war aber auch Nährboden für den neuen Stil eines Alexander Skrjabin (20. 1.).

In die Programme der Reihe ist immer auch ein Anteil Kunstlied integriert, weil musikalischer Salon ohne Gesang kaum vorstellbar ist und die einstige Beliebtheit von Klavierliedern sich nicht zuletzt daraus erklärt, dass sie von jeder ambitionierten "höheren Tochter" nachgesungen wurden. Das hat sich geändert, selbst Superstars des Gesangs wie Heldentenor Ben Heppner haben bei reinen Liederabenden kein garantiert volles Haus. Zumal Heppner bei seinem Recital am Dienstag im Kammermusiksaal die romantischen Lieder-Hits von Schubert und Schumann vermeidet und sich mit Stücken von Beethoven (der als Liederkomponist eher eine Randfigur ist), Rachmaninow und Richard Strauss ein eher ungewöhnliches Programm ausgesucht hat. Die Chance, Heppner live in Berlin zu erleben, dürfte sich so bald nicht wieder bieten. Höchstens beim Philharmoniker-Waldbühnenkonzert. Und dafür sind die Karten ja sowieso immer ausverkauft.

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