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Kultur: Souvenir, Souvenir

über Reiseerinnerungen, die zu Kunstwerken werden Was bringen wir bloß aus den Ferien mit? Und warum nur bohrt sich immer am letzten Ferientag, beim allerletzten Blick auf die Urlaubsidylle, die bange Frage schmerzhaft ins Bewusstsein?

über Reiseerinnerungen, die zu Kunstwerken werden Was bringen wir bloß aus den Ferien mit? Und warum nur bohrt sich immer am letzten Ferientag, beim allerletzten Blick auf die Urlaubsidylle, die bange Frage schmerzhaft ins Bewusstsein? Souvenirs sind schließlich weit mehr als der blanke Beweis, vor Ort gewesen zu sein. Die Mitbringsel können über kulinarische Urlaubsgewohnheiten, kulturelle Liebhabereien oder ausschweifende Sammelleidenschaften Auskunft geben. Sie verlangen authentische Herkunft, sind vorzugsweise leicht und präsentieren sich nach Rückkehr oft überraschend ferienfröhlich bunt.

Ein ideales japanisches Souvenir sind die Bento-Boxes. Als Bentos werden seit ihrer Erfindung in Japan jene praktischen Sperrholzkistchen bezeichnet, mit denen sich ein Reisender kulinarisch wohlversorgt auf den Weg macht. Auf dem Rückweg kann man sie leer gegessen als Sammelbox recyclen. Analog zum Inhalt der echten Bento-Boxes hat die japanische Künstlerin Hiroko Tanahashi für ihre gestern eröffnete Berliner Ausstellung „Delicious Moves“ ( Zagreus Projekt , Schröderstraße 13, bis 26. September, Telefon: 030-28095640) nun vier verschiedene Bento-Menüs kreiert (pro Menü 18 Euro). Diese kreisen ums Reisen. Die Geschichten sind auf das zarte Papier gedruckt, mit dem die Holzkästchen eingewickelt sind. Einmal geöffnet, kann der Besucher Reisrollen, Lachshappen, Fleischbällchen, Gemüsestücke – was auch immer zu dem Objekt „Ekiben“ (Bento-Box für Züge) gehört – auf der Zunge zergehen lassen. Wer nichts essen möchte, kann Tanahashis fiktionalen Reisen mit der Transsibirischen Eisenbahn oder auf der Milchstraße auch auf den Motiven der bunten Leuchtkästen folgen (je 1500 Euro). Und gegessen wird in der Installation natürlich nicht irgendwo, sondern stilgerecht auf Waggonsitzen der französischen Eisenbahnlegende TEE. Und so maßvoll wie die japanische Verpackungskunst ist, so maßlos ist ihre Liebe zur Technik. Deshalb jagt auf dem Fensterglas beim Menü eine Landschaft vorbei. Virtuelles Fantasiefutter.

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Videos drehen, filmen, fotografieren: Jeder Urlauber von heute dokumentiert, so gut er kann. Zahllose Urlaubsschnappschüsse sind ein Souvenir für sich. Der 1966 geborene Künstler Stefan Beuchel hat selbst gar keine Ferien gemacht, sondern ist in Berlin geblieben und hat Touristen besichtigt. Sein Recherchestammplatz war der Neptun-Brunnen. Das Ergebnis hat er analytisch standardisiert bis nur die Posen der Fotografierten zu Füßen der barbusigen Damen sichtbar blieben (Kunstpunkt Berlin, Schlegelstraße 6, bis 28. August).

Raumfüllend ist in der Galerie Beuchels minimalistisches Urlaubspotpourri aus Pappkulissen aufgebaut (Preise auf Anfrage). Hotel, Strand, Bar, Brücke, Souvenirshop – alles ist dabei. Dazu gibt es nervquälende Urlauber-selig-mach-Musik über Kopfhörer. Wer bis jetzt noch nicht von Erinnerungswellen weich gespült ist, wird es bei diesen Klängen. Zum Schwelgen in Urlaubserinnerung gehört üblicherweise ein Paar. Und mindestens zwei Spieler braucht man für den Kinderspielklassiker Memory. Beuchel präsentiert in seiner Urlaubsausstellung die Variante des „Europa-Toptours-Memory“. Erfahrene Busurlauber mögen die typischen Streifen und Logos erkennen. Trainierte finden ihren Bus auf dem Parkplatz schließlich aus Hunderten heraus. Die anderen können mittels Beuchels Erinnerungsspiel noch üben. Besonders Berlintouristen sei die Adresse von Kunstpunkt Berlin des ursprünglich Dortmunder Galeristen Heinz-Günter Herpel empfohlen. Die besten Souvenirs sind schließlich immer noch die Insidertipps.

Thea Herold

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