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Kultur: Spannungsabfall

Die Reinbeckhallen in Oberschöneweide bringen Kultur in einen vergessenen Bezirk. Nun droht der Abriss

Von Dorte Huneke

Fischhändler Klaus-Dieter Strohmann hat nun auch Wurst im Sortiment. Anfang des Jahres übernahm der Geschäftsmann die Fischräucherei „Oberspree“ an der Wilhelminenhofstraße, Berlin-Oberschöneweide. „Seit 1937“ steht auf der Schaufensterscheibe. Um auch in Zeiten abnehmender Konsumlust zu überleben, müsse er sein Angebot kreativ erweitern: Zum Fisch das Brötchen und auch Wurst verkaufen. Die Ärmel seines weißen Hemdes sind hochgekrempelt, der Laden ist frisch geputzt. Wenn es nach Strohmann ginge, könnte es jetzt losgehen. Nur die Kunden fehlen. Das Problem heißt Oberschöneweide: hohe Arbeitslosenrate, Abwanderungen, Leerstand. In den Reinbeckhallen, nur hundert Meter von seinem Geschäft entfernt, ist Strohmann nie gewesen. „Was für Geschäfte sind denn da drin?“, fragt er. Als er hört, dass es in den Reinbeckhallen keine Geschäfte gibt, sondern Konzerte, ist er überrascht – aber wenig beeindruckt. Ein „Wochenmarkt mit deutschem Sortiment“, der fehlt ihm in Oberschöneweide. Aber ein Kulturzentrum? „Was soll ich denn da?“ Vor wenigen Wochen noch hätte man ihm ein Programm in die Hand gedrückt. Inzwischen ist fraglich, ob sich derlei Werbung überhaupt noch lohnt. Denn die Reinbeckhallen sind der Abrissbirne geweiht.

Zu DDR-Zeiten war in den gelben Backsteinhallen das Transformatorenwerk Oberschöneweide (TRO) untergebracht. Das Ensemble, in dem einst die AEG gegründet wurde, zählte zu den größten innerstädtischen Industriegebieten der Republik. Nach der Wende stellten mehrere der dort ansässigen Firmen den Betrieb ein. Von den ehemals über 25 000 Arbeitsplätzen blieben nur wenige Hundert übrig. Bis heute hängt dem Bezirk die Bezeichnung „Oberschweineöde“ an. Sie ist so vertraut, dass im Internet www.oberschweineöde und www.oberschöneweide auf dieselbe Seite mit Bezirksneuigkeiten verweisen.

Vor vier Jahren sollte die Gründung eines Kulturzentrums ein Hoffnungszeichen setzen. Das „Kulturwerk Oberschöneweide“, das zur evangelischen Kirche gehört, mietete drei Hallen mit einer Nutzfläche von 1200 Quadratmetern und verwandelte sie in einen Veranstaltungsort. Wo ehemals Starkstromaggregate dröhnten, proben heute Kunststudenten für eine Aufführung, Artisten schwingen sich an ihren Trapezen durch die Lüfte, und Abiturienten der umliegenden Schulen feiern hier ihre Abschlussbälle.

Sanierung mit der Abrissbirne

„Die Talsohle war gerade überwunden“ sagt Veranstaltungsmanager Harry Mehner. „Wir haben sogar ein kleines Stammpublikum.“ Um die großen Konzert- oder Musicalveranstalter zu gewinnen, muss allerdings umgebaut werden: „Mit Container-Toiletten geben die sich nicht zufrieden!“ Ein Schallschutz muss her – das Umweltamt hat bereits angeklopft – und statt der Baustellenlüfter eine ordentliche Heizungsanlage. „Es könnte sofort losgehen“, wirft Bernd Moltzan ein, der für die künstlerische Leitung verantwortlich ist. Wenn man sich nur erst um Fördermittel bemühen könnte. Das Kulturwerk finanziert sich aus Mitteln des Arbeitsamtes, den Einnahmen der Veranstaltungen und über Sponsoren. Fördermittel vom Senat wurden verweigert, da es keinen langfristigen Mietvertrag mit der Nachfolgegesellschaft der Treuhand (TLG) gibt. Die hat nämlich andere Pläne.

Die Firma Hightec-Segmentbau will das Nachbargrundstück kaufen, um dort eine Produktionsanlage zu errichten. Das Potsdamer Unternehmen arbeitet mit einer patentierten Verbundsystem-Technologie im Brückenbau. Der Materialtransport soll über Schiffe und Lastwagen erfolgen, eine Transitstrecke nach Niederschöneweide für den Schwerkraftverkehr gebaut werden. Für die Region bedeutet das: 500 Arbeitsplätze. „Natürlich wäre das ein großartiger Gewinn für Oberschöneweide,“ räumt Moltzan ein. Wäre da nicht die Sache mit dem Container-Umschlagplatz, für den sich der Investor ausgerechnet das benachbarte Gelände der Reinbeckhallen ausgeguckt hat.

In den zwanziger Jahren erbaut, markierten die Reinbeckhallen den Anfang einer großflächigen Industrialisierung. Bis 1924 stand auf dem Spree-Areal außerdem noch das Schloss Wilhelminenhof, errichtet von dem Geheimen Oberfinanzrat Johann Philipp Otto Reinbeck. Als es abgerissen wurde, erhielt die kleine Zufahrtsstraße den n des Schlossherrn, seit 1998 auch die Hallen.

Keine Rettung vor dem drohenden Abriss verspricht die Tatsache, dass das alte Industriegebiet Mitte der neunziger Jahre zum Sanierungsgebiet erklärt wurde. Auf dem Gelände um die Hallen – zwischen Reinbeckstraße und Laufener Straße – sollte ein Gelände mit Grünflächen und einer Uferpromenade entstehen. So sah es das Sanierungsziel vor. Der Traum vom Stadtpark scheint ausgeträumt. Nach Angaben des zuständigen Gebietskoordinators für Oberschöneweide, Michael Wend, erwägt der Senat zwei Nutzungskonzepte, die wenig mit Grünflächen gemein haben. Das eine Konzept lässt den Investor seine gesamten Fertigungsanlagen in Oberschöneweide errichten. Das andere bietet ihm an, zumindest das Container-Dorf auf die andere Spree-Seite nach Niederschöneweide zu verlegen. Beide Grundstücke gehören der TLG. Dort sollte eigentlich laut Sanierungsplan in absehbarer Zeit ein Wohngebiet entstehen. „Eine Utopie!“, schimpft Moltzan. Enormer Wohnungsleerstand in der Region und ein von Altlasten verseuchter Boden machen die Suche nach einem Investor aussichtslos.

Das Dröhnen der Transformatoren

Dagmar Klein sitzt auf einem Stuhl in Halle 3. Die 51-Jährige ist verwirrt. Dass sich in Oberschöneweide wieder Industrie ansiedeln würde, davon hat auch sie jahrelang geträumt. Seit der Wende eigentlich, als alle Betriebe dicht machten - unter anderem die TRO, in deren Lagerhallen sie seit 1966 gearbeitet hat. In Gedanken sieht sie die riesengroßen Transformatoren wieder vor sich, hört das laute Brummen. Sie lacht. Die Arbeit hat sie immer gemocht. Vor zwei Jahren brachte eine ABM-Stelle sie zurück in die Hallen. Jetzt gehört sie zum Team des Kulturwerks. „Unsere gute Seele“, beschreibt Moltzan sie anerkennend. Ein bisschen komisch sei es gewesen, als sie zum ersten Mal die leergeräumten Hallen betrat. Doch das Konzept der Betreiber, Industriearchitektur mit Kultur zu verbinden, gefällt ihr. Es führt die Menschen zusammen. Einige ihrer Kollegen von damals hat sie schon zu den Veranstaltungen locken können. Dann sitzen sie auf einem der 100 rotgepolsterten Stühle, die vorher im Roten Rathaus standen, als sie selbst hier noch die Maschinen bediente. Die Lastkräne an der Decke sind nach wie vor funktionstüchtig, Theatergruppen verwenden sie als Lichtbrücken. Wenn der 48-jährige Mehner durch die weitläufigen Hallen streift und mit der Pfeife auf die Kostbarkeiten weist, die sich in den Jahren angesammelt haben, klingt aus seinen Sätzen nun unüberhörbar das Wort „Vergangenheit“ heraus. Die Pfeife in seinem Mundwinkel wackelt, wenn er von den Kirchenbänken erzählt, die vom Französischen Dom ausrangiert wurden und nun zwischen Werbeplanen, Bühnenteilen und Garderobentheken stehen. Eine Kunst-Lok des Treptower Künstlers Achim Kühn erhielt in den Hallen Asyl, als der Berliner Ostbahnhof zum Einkaufszentrum umgebaut wurde.

Der Senat bemüht sich unterdessen, die Ansiedlung des Investors zu beschleunigen. Ein Beschluss soll formuliert werden, der das besagte Gelände dem Status „Sanierungsgebiet“ enthebt. Das wurde dem Geschäftsführer der Hightech-Segmentbau in Aussicht gestellt. Endgültig entschieden ist jedoch noch nichts, beschwichtigt Bürgermeister Klaus Ulbricht. Sicher scheint dagegen die – von allen Seiten begrüßte – Niederlassung des Unternehmens Hightec-Segmentbau, das in Oberschöneweide bleiben will. „Alles eine Frage der Kosten“, erklärt der Geschäftsführer. „Die Planungsvorbereitungen mit der TLG laufen“, fügt er lapidar hinzu und freut sich, dass von Seiten der Verwaltung nun alles ganz schnell gehen soll. Mitte September könnten die ersten Umbauarbeiten vor Ort beginnen.

Das Kulturwerk hat bisher noch kein Kündigungsschreiben erhalten. Von der Sanierungsbeiratsversammlung wurden sie ausgeladen, über den Stand der Verhandlungen können sie nur spekulieren. Aufgeben ist nicht ihre Sache: „Unsere Ideen gehen noch weit über 2002 hinaus,“ sagt Moltzan optimistisch. Es könnte sofort losgehen.

Stummfilmnacht mit Live-Musik am 31. August ab 21 Uhr.

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