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Kultur: Sparen heißt bluten

Die drastischen Kürzungen für die Kultur der Niederlande treffen vor allem kleine Ensembles.

Wer sich für die Geschichte des Kapitalismus interessiert, kommt an den Niederlanden kaum vorbei. Die Überzeugung, selbst für sein Schicksal verantwortlich zu sein, war in diesem dem Meer abgerungenen Land früher verbreitet als anderswo. Bisher galt allerdings auch der Konsens, dass bestimmte gesellschaftliche Bereiche aus dieser Logik herausfallen, dass sie andere Ziele haben als die Geldvermehrung und dass sie deshalb unterstützt werden müssen. Dazu gehörten auch die Künste.

Doch mit dem entspannten Klima ist es vorbei. Seit den Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh und dem Aufstieg von Geert Wilders herrscht Misstrauen gegen alles, was fremd ist oder im Verdacht steht, parasitär zu sein. Die heftigen gesellschaftlichen Grabenkämpfe haben im Oktober 2010 eine neue Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte an die Macht gebracht, die erstmals in der Geschichte des Landes von der rechtsliberalen VVD gestellt und von Geert Wilders’ PVV toleriert wird. Mit ihr fielen letzte Hemmungen: Auch die Künste sollen sich kapitalistisch organisieren, die Orchester, Theater, Galerien und die vielen kleinen Ensembles sollen stärker für sich selbst sorgen. Konkret heißt das: Kürzung der Subventionen, Erhöhung des Eigenanteils, Verschärfung der Förderbestimmungen. Der Plan: Das mit rund 500 Millionen Euro sowieso nicht üppige staatliche Förderpaket soll bis 2014 auf 300 Millionen schrumpfen. Seither wartet die Kulturszene bange ab, wen es am schlimmsten trifft.

Jetzt, ein Jahr später, zeigt sich: Es sind vor allem die Kleinen, die bezahlen sollen. Die großen Leuchttürme wie die Oper in Amsterdam, das Rijksmuseum oder die zehn landesweiten Orchester kommen vergleichsweise glimpflich davon, obwohl auch sie einen Wegfall von mehreren Millionen Euro verkraften müssen und jetzt mit Begriffen wie „Businessplan“ jonglieren. Kulturstaatssekretär Halbe Zijlstra hat angekündigt, vor allem die kulturelle Spitze beschützen zu wollen. Der Preis dafür: Der breiten landesweiten Versorgung werden die Beine weggehauen. Nachdem bei der Kultur insgesamt sowieso überproportional gekürzt wird, finden sich jetzt viele Institutionen, die aus der großen staatlichen „Basisinfrastructuur“-Förderung gefallen sind, weiter unten im „Fonds Podiumkunsten“ wieder, der zuständig ist für Musik, Tanz und Theater. Dort wird es eng. Im November hat der Fonds entschieden, die Kürzungen vor allem an die kleinen Musikensembles weiterzureichen.

Damit wird ein Herzstück der niederländischen Identität getroffen. Seit den siebziger Jahren blüht hier die Ensemblekultur wie nirgendwo sonst in Europa. Vereinigungen wie das Orkest van de Achttiende Eeuw, die Holland Baroque Society oder Amsterdam Sinfonietta bestehen aus einigen Dutzend Musikern, die vor allem Barock- und Neue Musik, Jazz und improvisierte Musik spielen. Der Fonds, der nur noch 43 Millionen Euro statt 60 Millionen bekommt, will ab dem 1. Januar 2013 die Zuschüsse an die Ensembles um fast 50 Prozent kürzen. Für den Nederlands Kamerkoor bedeutet das, dass er nur noch ein Drittel der gegenwärtigen 1,7 Millionen Euro bekommt, beim auf zeitgenössische Musik spezialisierten Ensemble ASKO/Schönberg sinkt der Betrag von 1,2 Millionen auf 500 000 Euro.

2005 wurde das für zeitgenössische Musik errichtete Muziekgebouw aan’t IJ in Amsterdam eröffnet. Schon bald könnte es niemanden mehr geben, der hier auftritt. Der Sprecher der Ensembles, Paul Dijkema, zeigt sich geschockt: „Wir gehören zu den wichtigsten Botschaftern der Niederlande. 25 Prozent unserer Konzerte finden im Ausland statt.“ Alle Ensembles zusammen erhalten ungefähr so viel wie eines der zehn Orchester. Jetzt müssen sie hektisch darüber nachdenken, wie es weitergehen kann, bereits in wenigen Wochen müssen alle Unterlagen für die Förderperiode 2013-2016 beim Fonds abgegeben sein.

„Künstlerische Argumente sind irrelevant. Es geht nur darum, einmal beschlossene Kürzungen irgendwie in die Tat umzusetzen“, sagt Dijkema. Viele Niederländer fragen sich, welche Bereiche die Gesellschaft noch bezahlen soll – und welche nicht mehr. Was das für die Musikensembles bedeutet, ist vielen nicht klar. „Weil wir schon sehr effizient waren, gibt es kein Fett, in das man schneiden könnte. Alle Kürzungen gehen direkt ins Fleisch“, sagt Dijkema und bleibt bei der medizinischen Metapher: „Wir verbluten.“

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