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Er war König hinter der Bühne. Fritz Rau, 1930 – 2013. Foto: dpa

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Kultur: Spargel für Frank Zappa, Hering für Mick Jagger

Er brachte die Rockmusik und den Blues nach Deutschland: Zum Tod des legendären Konzertveranstalters Fritz Rau.

Sie nannten ihn den „Tottänzer“. Bei den Frauen in seinem Heidelberger Jazzkeller „Cave“ war Fritz Rau für seinen ekstatisch-ausdauernden Boogie-Woogie-Tanzstil gefürchtet. Wo er seinen jugendlichen Leib schüttelte, wuchs kein Gras mehr. Das war die eine Seite.

Die andere: Fritz Rau hatte den Blues. „Five Long Years“ in der Version von Muddy Waters war der Song, der ihn sein Leben begleitete. Immer, wenn es ernst wurde, zog er er diese heilsame Scheibe aus seiner 12 000 Platten umfassenden Sammlung und vergrub sich im Ohrensessel. „Die könnt ihr einem Marsmenschen vorspielen, und sofort würde der begreifen, was Blues ist“, sagte er 2006 bei unserem Interview in seiner Bad Homburger Wohnung.

Vor ihm, auf einem Glastisch, stand die Silberschale mit der Gravur „To Fritz with Thanks from The Rolling Stones“, an der Wand hing ein Marlene-Dietrich-Plakat mit der Widmung „For Fritz“.

Einschüchternd? Im Gegenteil. Rau hatte, trotz der weißen Haare, etwas Komplizenhaftes. Er wirkte wie ein Lausbub mit einer alten Seele. Musik war für ihn eine Befreiung und blieb es – wie so viele seiner Generation wuchs er mit den Klängen von AFN auf, dem Radiosender der amerikanischen Soldaten.

Man kann dem Mann ja gar nicht genug danken. Er holte erst Ella Fitzgerald, Nat King Cole und Duke Ellington auf deutsche Bühnen, dann Muddy Waters, Jimi Hendrix, Bob Dylan, Madonna, Bruce Springsteen, die Doors und Miles Davis. Frank Zappa schrieb ihm ein Lied: „Fritz Rau doesn’t like Roadies eating Asparagus“. Dem ging einer der legendären Wutanfälle Raus voraus: In Köln hatte jemand in einem Spitzenrestaurants nicht nur für die Künstler Steaks und Spargel bestellt, sondern auch für die vielen Bühnenarbeiter.

Rau hielt als gewiefter Geschäftsmann das Geld zusammen, doch sein wahrer Reichtum waren die Geschichten, die er erzählen konnte, wenn er denn wollte.

Zum Beispiel: Wie der Wellensittich seiner Tochter auf dem Kopf von Jimi Hendrix landete und sich in dessen Haaren verfing. („Meine Frau brachte Käsekuchen, und alles war wieder gut.“)

Wie Marlene Dietrich nachts im Nachthemd in seinem Hotelzimmer erschien, um ihm die Brust mit Wick Vaporub einzureiben. („Da schwebt sie auf mich zu und knöpft mir mit leichter Hand den Schlafanzug auf.“)

Wie Mick Jagger in Berlin nach einer Forelle verlangte – und ihm Rau einen Hering unterjubeln wollte. („We call this a trout in Germany.“)

Wie Rau den damals noch recht unbekannten Peter Maffay auf der großen Bühne vor den Rolling Stones auftreten ließ und Maffay gnadenlos ausgebuht wurde. („Ich sprang auf die Bühne und schrie ins Mikro: Wenn ihr ihn ausbuht, müsst ihr auch mich ausbuhen.“)

Wie Sonny Boy Williamson in einem besonders vornehmen Hotel in Baden-Baden ein Karnickel auf dem Zimmer geschlachtet und gebraten hat. („Ich musste reden und reden, vom Kulturschock, dem Leben im Ghetto und dass wir Deutschen doch bekannt dafür seien, nichts gegen andere Rassen … wir durften bleiben.“)

Wie Rau vor lauter Aufregung einen Nervenzusammenbruch erlitt, als der Jude Bob Dylan 1978 auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg „Forever Young“ spielte. („Ich habe hemmungslos geweint. Dylan hat mich in den Arm genommen und in den Bus geführt.“)

Nach diesen Geschichten lud Fritz Rau auf ein, zwei Ouzo „Zum kleinen Olymp“, seinem Stammgriechen, wo er zweimal pro Woche Lammkoteletts verspeiste. Vor größerem Publikum wurden seine Stories bildreicher, die Gesten ausladender und seine Umarmungen herzlicher.

Fritz Rau konnte die Konzerte nicht mehr zählen, die er veranstaltet und besucht hat. Nach den vielen Jahren im Geschäft – er startete seine Karriere als Assistent von Horst Lippmann – behielt er bis ganz zum Schluss eine Riesenfaszination für das, was auf und vor der Bühne passierte. Vip-Logen langweilten ihn, er wollte dort stehen, wo Licht und Ton seiner Ansicht nach am besten sind: direkt vor dem Mixer. Der Jubel des Publikums bewegte ihn, er ließ sich bereitwillig von der Woge erfassen und mittragen. Er ließ alles ungefiltert an sich heran. Ohropax verabscheute er. Selbst ACDC und den Black Eyed Peas – ein Tipp seiner Enkelin – lauschte er mit offenen Ohren.

1989 fusionierte Raus Unternehmen mit dem größten Konkurrenten Mama Concerts. Dessen Chef wurde bald darauf wegen Steuerhinterziehung verhaftet. 2004 zog sich Rau aus dem Beruf zurück.

Mit seiner verstorbenen ersten Ehefrau Hildegard hatte Rau zwei gemeinsame Kinder. Freimütig gestand er, den 18. Geburtstag seiner Tochter einst vergessen zu haben. Der Sohn arbeitet in der Autobranche. „Und zwar, weil ich nicht Auto fahren kann. Das Einzige, wo der alte Dauerredner nicht mitsprechen kann.“

Jetzt starb Fritz Rau mit 83 Jahren im Taunus. Wenn der Himmel eine Bühne ist, ist er auf jeden Fall schon backstage. Esther Kogelboom

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