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Kultur: Spaß zahlt sich aus

Der Mann, der Millionen macht: Tobias Meyer von Sotheby’s ist der gefragteste Auktionator der Welt

Der Kunstmarkt boomt, die Preise für Gegenwartskunst explodieren. Wir stellen in einer Sommer-Serie die Macher vor, die Mächtigen, die Strippenzieher der Kunstszene: einen Auktionator, einen Sammler, einen Museumsdirektor, einen Galeristen, einen Künstler. Tsp

Seine Aufgabe ist es, die Kunst teuer zu machen, und es ist an diesem Abend wieder prächtig gelungen. 2,9 Millionen Pfund für David Hockneys „The Splash“: „Das sind eine Million Dollar mehr als der Rekordpreis, den wir im Mai in New York für das Bild ,Neat Lawn’ hatten“, sagt Tobias Meyer nach der Londoner Sotheby’s-Auktion und nippt an dem weißen Burgunder, den Sotheby’s bei solchen Gelegenheiten ausschenkt.

Wie ein Meisterdirigent hat der Auktionator die Versteigerung geleitet. Er vorn auf dem Mahagonipult mit goldenem Sotheby’s-Schriftzug, neben ihm werden von Trägern in gesteiften grünen Schürzen mit weißen Handschuhen die teueren Bilder hereingetragen. „Hockney“, sagt er: „Fangen wir mit 1,5 Millionen an.“ Mit weiter Geste weist er in den Saal. Die Auktionswelt liebt seinen sonoren Bariton, mit dem er bequem die hinterste Ecke erreicht. Sie liebt auch den kaum noch hörbaren österreichischen Akzent, mit dem Meyer Englisch spricht.

Tobias Meyer ist berühmt, weil er die teuersten Gemälde der Welt versteigert. 2004 brachte Picassos „Garçon à la pipe“ 104 Millionen Dollar, in diesem Mai ging das Dora-Maar-Porträt mit Katze für 95 Millionen Dollar über den Tisch. Fotos der Auktionen gingen um die Welt. Da steht Meyer kerzengerade, den Kopf hochgereckt, das schwarze Wellenhaar aus der Stirn gekämmt. Er trägt einen maßgeschneiderten Anzug, doch „noch nackt würde er stilvoll aussehen“, sagte sein Freund, Gucci-Designer Tom Ford.

Wenn er vom Pult herab in den Saal blickt, spürt er das Animalische der Kunstleidenschaft, sagt er selbst: „Man wird von der Begierde der Sammler mitgerissen. Es ist unglaublich sexy.“ Nach dem Picasso-Rekord setzte der „New Yorker“ einen Reporter drei Monate lang auf Meyers Spuren. Der neue Star des Kunstmarkts war geboren.

Einflussreich ist Meyer nicht nur als Sotheby’s „Principal Auctioneer“, sondern vor allem, weil er als weltweiter Chef der Contemporary-Abteilung den Markt dirigieren kann. Nach jeder Auktion überlegt er mit seinen Kollegen, in welche Richtung der Markt weitergedreht werden könnte, welcher Künstler unterbewertet ist. Dann geht er auf die Jagd, um das richtige Bild am richtigen Ort mit der richtigen Schätzung zu versteigern. „Man kann in den Markt hineinsehen“, erklärt er – und macht die Kunst teuer. Teuer für seinen Arbeitgeber, für Kunstsammler und für den Kunstmarkt insgesamt, dessen phänomenalen Aufstieg er als einer der Hauptstrategen in den letzten 15 Jahren mitbestimmt hat.

1963 in Wuppertal geboren, in Wien aufgewachsen, war Meyer früh fasziniert von schönen Dingen. Mit 15 tätigte er seinen ersten Auktionskauf – ein paar Silberlöffel bei Christie’s in London, während eines Sprachaufenthalts. Als 18-Jähriger, nach dem Abitur, kommt er wieder: Obwohl zu jung, darf er Christie’s Kunstkurs absolvieren. Ein paar Jahre später, nach dem Kunststudium in Wien, fängt er mit 26 im Clock-Department an. Es ist 1989, und der Kunstmarkt boomt. Als er ein paar Monate später die Versetzung zur Contemporary-Abteilung durchgesetzt hat, ist der Boom vorbei. Meyer sitzt drei Jahre im Keller und katalogisiert Kunst. „Es war die Hölle.“

1992 wirbt Sotheby’s den begabten jungen Mann als Chef der Londoner Contemporary-Abteilung ab, und nun kann Meyer das Heft in die Hand nehmen. 1994 wird Contemporary Art erstmals abends versteigert. „Die Tagauktionen waren ohne Glamour. Aber zeitgenössische Kunst braucht Glamour“, sagt Meyer im Rückblick. Er versteigert nicht Dubuffet und Poliakoff, sondern Beuys, Tapiès, Bruce Nauman, Gerhard Richter. Wer einmal die Geschichte des aktuellen Contemporary-Booms schreiben wird, kommt an dieser Auktion vom Juni 1994 nicht vorbei. Nicht nur brachte sie mit 5,11 Millionen Pfund das beste Ergebnis seit dem Marktkollaps von 1990, Meyer schuf auch eine neue, aufregende Atmosphäre.

Der Höhenflug setzt sich fort: 1997 wird Meyer Contemporary-Chef bei Sotheby’s in New York. Seine erste Auktion gilt der „Boston Children’s Heart Foundation“ – Arbeiten von Künstlern wie Matthew Barney und Rachel Whiteread, die ein kunstbesessener Kardiologe mit unterschlagenem Geld der Stiftung gekauft hatte. Ein Notverkauf, aber Meyer zeigt, dass sich auch brandneue Kunst versteigern lässt – und wie!

1998 folgt sein bislang größter Coup. Meyer erfährt, dass sich der Frankfurter Sammler Karl Ströher von seinem Warhol trennen will, der „Orange Marilyn“, die er 1967 dem Amerikaner Leon Kraushaar für 25 000 Dollar abgekauft hatte. Der Warhol-Markt hat zwar gerade eine schwache Phase, aber ein de Kooning- Gemälde hatte unlängst sensationelle 16 Millionen Dollar gebracht. „Warum nicht Warhol“, fragt sich Meyer: „Mir war klar, dass es sich um ein wirkliches Ausnahmebild handelte.“

Und er setzt alle Hebel in Bewegung. „Wenn er an etwas glaubt, kann er sehr aggressiv sein“, so Sotheby’s Londoner Contemporary-Leiterin Cheyenne Westphal über ihren Chef. Meyer schätzt die „Orange Marilyn“ auf mindestens vier Millionen Dollar, was weit über dem damaligen Rekordpreis liegt – und erzählt allen, die es wissen wollen, dass der Preis sehr viel höher liegen würde. Er lädt alle potentiellen Käufer zum gemeinsamen Dinner unter dem Gemälde ein. Und er behält Recht: Die „Orange Marilyn“ wird für 17,3 Millionen Dollar an den Verleger Si Newhouse verkauft. Meyer hat gezeigt, dass Contemporary Art so teuer sein kann wie van Gogh und Renoir, und dass es keine Preisgrenze nach oben gibt.

Wenige können so gut wie Meyer erklären, warum Kunst immer teuerer wird. „Für einen wirklich reichen Menschen ist das Sammeln von Kunst heute obligatorisch“, sagt er und schickt die besten Bilder auf Werbetour nach Taipeh und Hongkong: „Jahrzehntelang war die Welt zweigeteilt, und eine Hälfte durfte kein Geld verdienen. Die haben einen unheimlichen Nachholbedarf.“ Er hat mitgeholfen, dass sich die Lust auf Kunst angstfrei entfalten kann. „Die Sammler haben vor dem Millionenpreis keine Angst mehr“, konstatiert er. Auch die Angst der Bourgeoisie vor den Avantgarden sei verflogen. „Vor ein paar Jahren sagten sie noch, ,das kann mein Kind auch malen’. Heute sagt das keiner mehr“.

Meyer verkörpert den Spaß, die Lässigkeit der neuen Sammler, ihre Lust am Sprengen von Konventionen – und ihre Gier nach Schönem. Mit seinem Partner, dem Art Consultant Mark Fletcher, lebt er in New York in einem spektakulären 5,3-Millionen- Dollar-Apartment im 66. Stock des Time Warner Centres und hat seine Wohnung so eingerichtet, wie man es von einem Gründungsmitglied der Gegenwarts-Szene erwartet. Porträts von John Currin auf der sperrholzverkleideten Wand, das blinkende Dollarzeichen aus Glühbirnen von Tim Noble und Sue Webster hängt neben einem vergoldeten Konsoltisch aus dem 18. Jahrhundert. „Zeitgenössisches Rokoko“, schreiben die Designmagazine.

Und Skrupel? „Es muss Spaß machen, was wir tun“, sagt Meyer. „Natürlich müssen wir als Auktionatoren ehrlich sein, die höchsten moralischen Standards haben. Aber wer die Welt verbessern will, soll in die Krebsforschung gehen.“

PERSON

Geboren 1963 in

Wuppertal, wächst

Tobias Meyer in Wien auf. Heute lebt er in New York .

WERDEGANG

1989 fängt Meyer bei Christie’s in der Uhrenabteilung an, kurz

darauf wechselt er in die Contemporary-

Abteilung. 1992 wirbt Sotheby’s ihn als Chef der Londoner Contemporary-Abteilung ab. 1997 wird er Contemporary-Chef in New York. Heute ist er weltweiter Chef für Contemporary Art.

ERFOLGE

1994 eröffnet Meyer mit einer spektakulären Contemporary-Auktion in London: 5,11 Millionen Pfund werden umgesetzt. 1998 versteigert Meyer Andy Warhols „Orange Marilyn“ für 17,3 Millionen Dollar. 2004 bringt Picassos „Junge mit Pfeife“ 104 Millionen Dollar. Das „Bildnis der Dora Maar mit Katze“ wird im Mai 2006 für 95 Millionen Dollar zugeschlagen.

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