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Kultur: Sphärensex am Sonntag

Sieg des Lyrikonkels: der12.Berliner Open Mike

Groupies, die in die deutsche Literatur hineinwollen, sollten die Haare wieder lang tragen. In den Texten der achtzehn Jungliteraten, die am Wochenende im Berliner Podewil beim 12. Open Mike ihre Texte vortrugen, wuchs sich das lange Haar fast zu einem Leitmotiv aus, wurde im Laufe der Lesungen allerdings von einer Frau mit Brauereipferdearsch und einer geheimnisvollen Wasserleiche mit knabenhaftem Kurzhaarschnitt abgelöst.

Der von der Berliner Literaturwerkstatt organisierte Open Mike ist inzwischen zwölf Jahre alt und hat sich als Nachwuchswettbewerb für junge Autorinnen und Autoren neben dem Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb als wichtigstes Forum für die neue deutschsprachige Literatur etabliert. Aus über 600 Einsendungen mussten sechs Verlagslektorinnen und –lektoren die Endrundenteilnehmer auswählen. Die Manuskripte sind anonymisiert. Ohne Kenntnis von Namen, Alter und biografischem Hintergrund der Bewerber waren lockere Prenzlauer-Berg-Geschichten gegen schwergängige als Literatur verkleidete Kunstphilosophie abzuwägen, war ein Romananfang im koketten Jungmädchenton mit einer in Collagentechnik versachlichten Reflexion mit dem Titel „Geld Scheiße“ als gleichermaßen wettbewerbstüchtig ausgewählt worden.

Naturgemäß nicht leicht hatten es die Juroren der Endrunde Christina Viragh, Thomas Hettche und Michael Lentz, die am Samstag und Sonntag zusammen mit der angereisten Fachwelt und dem Berliner Publikum den Lesemarathon verfolgten („Schweiß spritzte rhythmisch durch die Stube“), und mit Argusaugen darüber wachten, wie die Nachwuchsliteraten sich und ihre Texte präsentierten. Was an Themen, Schreibarten und Genres in 15-minütigen Zeitfenstern aufgefahren wurde, war vielfältig, und die Art der Darbietung, das Auftreten der Lesenden, die Stimmen und Vortragsstile stellten die rein sprachliche Qualität der Texte in ganz unterschiedlichem Licht dar. Der Mut und die Professionalität, die die jungen Autorinnen und Autoren dabei bewiesen, wurden uneingeschränkt anerkannt und gelobt.

Doch was soll man wählen, das Leichte oder das Schwere? Den literarisch hochtrainierten Studenten des Leipziger Literaturinstituts, den Lyriker, der nach dem Wochenende wieder als Referent für energiewirtschaftliche Grundsatzfragen arbeiten wird, oder die Dame im eng anliegenden Schwarzen, die von der zuständigen Lektorin vorgestellt wird als eine, „die noch nichts mit dem Literaturbetrieb hatte“?

Gewonnen hat – überraschend – ein Poet. Mit zeitgemäßer knallroter Trainingsjacke und Strubbelhaar getarnt, entpuppte er sich auf dem Podium als verführerischer Lyrikonkel, der aus dem längst verpönten Zauberreich der Poesie mit einschmeichelnder Stimme seine Spieluhrengespinste vorlas. Die Hörerschaft hing Christian Schloyer bei seinem Vortrag gebannt an den Lippen und lauschte einer Textart, der sich sonst wohl die wenigsten freiwillig überlassen hätten. Es war spannend zu beobachten – und beileibe „kein sanfter sphären / sex · an einem sonntag“ –, wie Schloyer aus Wörtern und Rhythmus kleine lyrische Wirklichkeiten bastelte. Gelobt wurde der „gecoverte und doch eigene Sound“, und schon vor der Bekanntgabe des Preises hatte Schloyer mit seinen frechen Celan-Variationen – „dein zischelndes haar · goldmeduse, dein haar / bis zum arsch · dynamit“ – seinen Fuß in die Tür der deutschen Lyrik geklemmt.

Der zweite Preis ging an einen Prosaautor aus dem Leipziger Literaturinstitut. Mit wohlüberlegter Schmuddelcoolness hatte René Becher, scheinbar desinteressiert, seinen Text dem Publikum vorgeworfen, das wie erwartet die Ohren spitzte, um keinen der nuscheligen Sätze zu verpassen. Dem Text „Mit dem Vater stirbt der Sohn“ kam zugute, dass das Thema in seiner literarischen Ausführung lebendig geblieben war und nicht gesucht wirkte – wie bisweilen bei den schon sehr „fertigen“ Texten der Absolventen der Literaturschulen.

Den dritten Preis erhielt die erst 1982 geborene und somit jüngste Autorin des Wettbewerbs, Rabea Edel, für einen intensiven Abschnitt aus ihrem Roman „Das Wasser in dem wir schlafen“. Lange war auch Christoph Pollmanns Auszug aus dem Roman „Skritzler“ im Rennen, in dem der Protagonist wortbesoffen durch das postsowjetische Riga torkelt. Die Jury aber befand: zu manieristisch. Der zuletzt vorgetragene Text „Familienurlaub“ der Brüsseler Autorin Sibylle Luithlen, auf den viele gesetzt hatten, und auch Nikolai Vogels im Vorfeld hoch gehandelter Text „Geld Scheiße“ gingen ebenso leer aus wie Monika Zeiners ausgesprochen netter Single-in-der-Großstadt-Text mit Hund.

Die Stimmung beim 12. Open Mike war gut, und auch die fünfzehn, die keinen Preis abbekamen, können sich als Ausgezeichnete betrachten. Vielleicht noch wichtiger als die Preise ist die Anwesenheit der Verlagsvertreter, Agenten und Kulturveranstalter, die dieses Jahr wieder zahlreich erschienen waren, um die aktuellste Auswahl aus dem Jungliteratenpool zu mustern. Im Gegensatz zu den meisten schreibenden Konkurrenten, deren Texte es gar nicht bis zum Open Mike geschafft haben, „haben sie nun etwas“ mit dem Literaturbetrieb.

Die Wettbewerbstexte sind unter dem Titel „12. open mike“ im alliteraverlag erschienen (12,80 €).

Sabine Franke

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