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Könnten Spider und Mondschein aus Andy Mulligans Roman "Spider" sein.

© Peter Endig/1sn/picture alliance / dpa

"Spider" von Andy Mulligan: Etwas Besseres als der Tod

Sind wir nicht alle verloren? Und suchen trotzdem immer wieder nach einem Zuhause? Andy Mulligans schöner Tier-Roman „Spider“.

Es gibt hier irgendwann, oder besser: ungefähr nach einem guten Drittel dieses Romans des britischen Kinder- und Jugendbuchautors Andy Mulligan, zwei Sätze, die einerseits so ziemlich aus dem Nichts zu kommen scheinen, die völlig überraschend sind. Die andererseits aber auch die existentielle Wucht dieser Geschichte schön charakterisieren, die zu ihrem Leitmotiv werden.

Der Hundewelpe Spider, Mulligans Titelheld, wird in dieser Szene heftig umworben von einer Katze mit dem schönen Namen Mondschein. Diese versucht ihn dazu zu animieren, sich mit ihr auf den Weg zu machen, weg von seinem Herrchen, dem halbwüchsigen Tom, den Spider eigentlich sehr gern hat.

Hin und her geht es zwischen den beiden, und Spider stöhnt: „Mondschein, ich bin verloren“. Woraufhin sie diese großartigen Sätze sagt: „Sind wir das nicht alle? Vielleicht ist das das Einzige, was wir je sicher wissen.“ Und schon ist es um Spider geschehen, landet er in der Verlorenheit und auf einer Tour de Force, die etwas von einem Roadmovie hat. Bis zu dieser denkwürdigen Begegnung zwischen Mondschein und Spider allerdings wirkt Mulligans Roman noch ein wenig unentschlossen, auch was sein zwischen den Menschen und Tieren angesiedeltes Setting anbetrifft.

Eine gewisse Verlorenheit strahlt Spider von Beginn an aus, als er als einziger Hund eines sechsköpfigen Wurfes zurückbleibt und dann, gewissermaßen als kreatürlicher Restposten, bei Tom landet, der sich ursprünglich eine Katze gewünscht hatte. Spider ist ein Mischlingshund: ein bisschen Terrier, ein bisschen Schäferhund – und ein bisschen Hyäne, wie Toms Vater findet Und dann seine krummen, verhedderten Beine und ein Zahn, der aus seinem Gebiss herausragt! Tom aber ist begeistert, Spider fühlt sich wohl, und irgendwie entspricht die ganze Anlage des Romans zunächst jedem Klischee des Genres: Tom kommt aus schwierigen Verhältnissen, lebt bei seinem Vater, die Mutter ist abgehauen, er wird in der Schule gemobbt, und nun hat er einen echten, ersten Freund. Zwei Außenseiter gegen den Rest der Welt. Was will Mulligan da noch groß erzählen?

Hier stimmen Geschwindigkeit und Dramaturgie

Immerhin ragt schnell die Kommunikation unter den Tieren aus der Herr-und-Hund-Geschichte heraus: von der Spinne, die Spider förmlich auf der Nase herumtanzt, über die Motte, die zu Spiders Leid im Netz der Spinne landet, bis hin zu eben jener verführerischen Katze Mondschein. Als diese Spider schließlich von der Frucht der Freiheits- und Verlorenheitserkenntnis kosten lässt, bekommt der Roman Stoff und Dramatik, wunderbare Szenen und noch ein paar wundersame Tierfiguren mehr. Tatsächlich stehen die Tiere im Vordergrund, nimmt Mulligan in auktorialer Form verstärkt ihre Perspektive ein und lässt die Tom-sucht-seinen-Hund-Geschichte geschickt auf einem Nebengleis laufen.

Tom lernt zunächst Jessie kennen und schätzen, eine Füchsin, die ihn mit in ihren Bau nimmt. Sie jagt zwar das Katzenrudel um Mondschein und verletzt diese schwer. Jessie beeindruckt Spider aber auch mit ihrer Blutrünstigkeit – und wegen ihrer Schuld- und Schamgefühle: „Nun, ich weiß nicht, worum es geht, aber wo immer ich hingehe, folgt mir die Scham. Es ist, als wäre ich verrückt, als wäre ich süchtig nach bösem Verhalten.“

Es nimmt kein gutes Ende mit Jessie, die Verlorenheit Spiders wird größer, und von nun an wird sein Leben von der Frage bestimmt, welches seine wirkliche Natur ist: ein sowieso verlorenes, ungebändigtes, wildes Geschöpf zu sein? Oder doch ein treuer Hund? Er entscheidet sich für letzteres, will zurück, und auf diesem Weg, auch das ein smarter Einfall, wird ein Floh sein treuer, hilfreicher Begleiter, genauso wie später die ziemlich zerrupfte Kampfhündin Buster und abermals die nun auch recht zerrupfte Mondschein.

Andy Mulligan, der mit seiner Ribblestrop-Reihe und vor allem seinem – auch schon verfilmten – Manila-von-unten-Roman „Trash“ bereits für Aufsehen im Jugendbuchbereich gesorgt hat, versteht sich auf die richtige Dramaturgie und die richtige Geschwindigkeit eines Romans. Es gibt noch atemberaubende Szenen in einer Tierfutterfabrik und auf einem Rangierbahnhof, und Spider muss mit seinem Floh sowie Buster und Mondschein noch manchen lebensgefährlichen Moment überstehen.

Dass am Ende eine glückliche Wiedervereinigung mit Tom steht, lässt sich denken und wird von Mulligan vielleicht eine Idee zu schön und zu kitschig ausgeführt. Macht aber nichts: Freundschaften sind stärker als jede willkürlich herbeigeführte Verlorenheit, davon erzählt dieser Roman, ungeachtet dessen, dass die ultimative Verlorenheit der Tod darstellt. Aber der ist nun einmal existentiell, und bis es so weit ist, gilt es, sich mit aller Macht dagegen zu wehren.

Andy Mulligan: Spider. Roman. Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn. Rowohlt Rotfuchs Verlag, Reinbek 2018. 302 Seiten, 14,99 €. Ab 10 Jahre.

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