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Kultur: Spieglein, Spieglein am Gewand

Das Ethnologische Museum in Dahlem präsentiert erstmals seine islamischen Sammlungen

Alle reden über den Islam. Mal geht es um den Schleier und die Integration von Muslimen mit Migrationshintergrund in Berlin; mal um die Revolutionen in der arabischen Welt und die Unterscheidung zwischen gemäßigten und radikalen Islamisten. Oder um die afghanischen Talibane und ihr Rückzugsgebiet im pakistanischen Swat-Tal, das 2009 die Scharia einführte und als Hort des Extremismus gilt. Museen mit historischen Sammlungen sind kaum der Ort, an dem solche politischen und gesellschaftlichen Debatten ausgetragen werden.

Doch das Ethnologische Museum in Dahlem, schon fast abgeschrieben, überrascht nun bei der Eröffnung der ersten Dauerausstellung seiner Sammlungen aus muslimischen Gesellschaften damit, dass es die Brücke zum Hier und Jetzt schlägt. Kuratorin Ingrid Schindlbeck verbindet die rund 450 historischen und zeitgenössischen Exponate mit Aspekten, die unser Bild von Muslimen prägen. Ihre Schau untermauert den Anspruch der ethnografischen Sammlungen, sich beim Umzug 2019 ins künftige Humboldt-Forum auf Augenhöhe mit der europäischen Kunst zu befinden, welche die benachbarte Museumsinsel beherrscht.

Anders als das Museum für Islamische Kunst ist die Ausstellung weder chronologisch noch geografisch gegliedert, sondern thematisch geordnet: Sie geht der Geschlechtertrennung, dem Zusammenhang von materieller Kultur und Identität, den unterschiedlichen Spielarten des Islam anhand regionaler Beispiele nach. Im Entree, das sich allerdings erst hinter der Afrika-Ausstellung befindet, wird der Besucher für das Spannungsfeld sensibilisiert: „Wie vielfältig ist der Islam, kann man eigentlich von der islamischen Welt sprechen?“, wird als Frage in den Raum gestellt.

Geschlechtertrennung gilt als ein Merkmal islamischer Gesellschaften. Am Beispiel der Architektur im Swat-Tal in Pakistan zeigt die Ausstellung, wie Frauen im öffentlichen Raum ausgegrenzt werden. Die aufwendig bestickten Frauenkleider und der Silberschmuck der Region zeigen gleichwohl die Wertschätzung gegenüber Frauen. Die mit touch-screen ausgestatteten Medienstationen erklären, dass die geschlechtsspezifische Raumaufteilung mit dem männlichen Ehrenkodex noch aus vorislamischer Zeit zusammenhängt. Die Exponate stammen aus der Kollektion, die der passionierte Sammler Jörg Drechsel in den siebziger Jahren zusammentrug. Die fast vollkommene Abschirmung der Region von der Außenwelt bis zur Auflösung des Prinzentums Swat 1969 erklärt mindestens ebenso wie der Verweis auf den Islam den erzkonservativen Charakter der Gesellschaft des Swat-Tals.

Teppiche und Festgewänder aus Zentralasien illustrieren wiederum, wie die heute unabhängigen Nationalstaaten ihr klassisches Kunsthandwerk politisch und identitätsstiftend nutzen. So finden sich traditionelle Motive der Teppichknüpferei wie die Drachenkralle in der Nationalflagge Turkmenistans. Auch Männer bestickten Gewänder. Die Stickerei mit Goldfäden war ihnen vorbehalten, weil ein edel verzierter Umhang für einen bestimmten gesellschaftlichen Status stand.

Am spannendsten aber ist der letzte Raum der 845 Quadratmeter großen Ausstellung. Er zeigt überraschend viele Spielarten des Islam, der hierzulande als monolithisch gilt. Neben dem vom Koran geleiteten Islamverständnis, das durch Koranstützen und kostbare Kalligrafien dargestellt wird, sind die Gewänder der mystischen Sufi-Orden ein Höhepunkt der Schau. Ein Exemplar aus Iran ist ein Fest der Farbe mit seinem roten, pink- und orangefarbenen Patchwork.

Unter dem Titel „Schutz, Hilfe, Heilung“ wird Kinderkleidung aus Afghanistan gezeigt, die zur Abwehr des bösen Blicks mit Spiegeln oder Amuletten reich bestickt sind. Diese Art der Volksfrömmigkeit findet man allerdings nicht in Arabien, wo der Islam ursprünglich seinen Ausgang nahm.

Mutig geht Kuratorin Ingrid Schindlbeck auch die Kleidervorschriften an – und zeigt damit auf, wie dünn die religiöse Grundlage für das angebliche Schleiergebot ist, vor allem wie unterschiedlich es gehandhabt wird. Anhand der wunderbaren Sammlung von Gesichtsschleiern erfährt der Besucher, dass westliche Reisende schon im 19. Jahrhundert die Gesichtsschleier als schockierend empfanden, obwohl damals auch in Europa die Haarbedeckung für Frauen keineswegs ungewöhnlich war.

„Antworten will ich keine geben“, so Ingrid Schindlbeck. Sie wolle die Menschen vor allem für die Nuancen und den sozialen Kontext von Ge- und Verboten sensibilisieren. Eine klare Aussage macht die neue Ausstellung dennoch: Ethnologischen Sammlungen kommt im Zeitalter der Globalisierung, in dem uns fremde Kulturen immer näherrücken, ein ganz neuer Stellenwert zu. Bedeutung gewinnen sie allerdings nur, wenn sie bei ihrer Präsentation die gegenwärtigen Fragen aufnehmen, welche sich die eigene Gesellschaft im Hinblick auf die Kultur der Anderen stellen.

Ethnologisches Museum, Lansstr. 8, Di–Fr 10–18 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr. Der Katalog kostet 39,95 €.

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