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Kultur: Spiel mir das Lied von der Rolle

Großes Berliner Theatertreffen: Luc Bondys „Die Zofen“ an der Volksbühne mit Edith Clever

Sophie Rois und Caroline Peters sind hier zu Hause. Für sie, für die mörderisch verdrehten, verfummelten und herrischen Schwestern im Dienst der „gnädigen Frau“, ist es ein Heimspiel. Sonst sind oder waren sie hier, in der Volksbühne, in Bert Neumanns Bühnenbildern, die Chefinnen. Und für die Gnädige, für Edith Clever, wird es eine Berliner Wiederkehr; die wievielte seit den großen alten, weit entrückten Tagen ihrer Schaubühne?! Edith Clevers Präsenz strahlt ebenso still wie triumphal – an einem Abend, der Ebenen und Reflexionen wunderbar leicht verwirrt und verschränkt. Eine so elegante Inszenierung von Luc Bondy sah man lange nicht.

Es handelt sich bei diesen „Zofen“ von Jean Genet, eine jener halbheiligen Autorenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die aus dem kollektiven Theaterdenken gerutscht sind, nicht einfach um eine Koproduktion der Volksbühne mit den Festwochen in Wien, wo die Premiere stattfand (siehe Tsp. vom 6. 6.). Es kommt da einiges an Theatergeschichte zusammen, eine große Berliner Bühnenkoalition, freilich post festum. Das proletarische Alt-Ost umarmt das (groß-)bürgerliche Alt-West, und man spürt in diesen zwei hypnotisierenden Theaterstunden, dass die Gegensätze, die Traditionen und Spielzüge von einst einer uneinholbaren Vergangenheit angehören. Und vielleicht von jeher Fiktionen waren. Schaubühne und Volksbühne: verflossene Legenden in einem Freundschaftsspiel.

Über all das müsste man weiter keine Worte verlieren, ginge es in den „Zofen“ nicht um Gewalt und Abhängigkeit, Liebe und Hass, Hingabe und Hierarchie. Jean Genet hatte sich drei männliche Darsteller für das Kammerspiel gewünscht, und Luc Bondy kommt ihm mit diesem außergewöhnlichen Frauen-Trio auf seine Art entgegen. Die Travestie wird nicht mit dem Geschlecht, sondern – wenn man es etwas pathetisch sagen will – mit Theatergeschlechtern aufgeladen.

Man muss nur sehen und genießen, wie Sophie Rois in bestimmten Momenten die Gestik und den sirrenden Tonfall der Clever übernimmt. Wie das sie übernimmt, mitreißt. Die Zofe Solange schlüpft unmerklich in die Existenz ihrer Herrin; so steht es geschrieben. Sophie Rois und Edith Clever in einem Wimpernschlag und Atemzug: Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben.

Liebe ist Anverwandlung, Hass nicht weniger. So sind die Spielregeln bei Genet, bis zum bittersüßen, vergifteten Ende. Und spricht nicht auch die Clever, wenn sie endlich hereinschreitet, mit einer wundervollen Stimme zwischen Selbstironie und morbider Apotheose? So weich, so entsagend – und immer auf dem Sprung. Ein Raubtier im Salon: Von Domestizierung erzählen hier die Dinge. Pelze, afrikanische Masken und Fetischfiguren. Und ein gewaltiges Porträt von Edith Clever als jüngerer Herrin über der Treppe. Ihr wird gehuldigt, und zugleich gehört die Bühne den beiden anderen.

Eine gewisse Jugendlichkeit, das ist es, was den Zofen Macht über die Herrin verleiht. Wenn Caroline Peters anfangs im Outfit der Dame des Hauses (Kostüme: Tabea Braun) den hohen, kühlen Raum betritt, wenn Clair ihre Schwester im Rollenspiel dominiert, dann spürt man sogleich das Volatile der Verhältnisse. Clair hat den Gang und die Haltung einer Dame, Solange scheint zur Unterwerfung bestimmt. Die beiden sind, durch so viele Volksbühnen- und René-Pollesch-Stücke, derart traumwandlerisch aufeinander eingespielt, dass Unschuld die erotische Spannung dämpft. Dann sind Sophie Rois und Caroline Peters wie zwei Mädchen, die Kleider und Schuhe anprobieren und am Boden raufen, und Mama ist aus dem Haus.

Etwas ungemein Wohltuendes geht von dieser Aufführung aus. Und das liegt im souveränen Umgang der drei Schauspielerinnen mit sich selbst, mit den Bildern und Erinnerungen, die sie evozieren. In einem Anflug von Entäußerung wirft die gnädige Frau ihre Garderobe weg. „Lebt wohl, ihr Bälle! Fahrt hin, ihr Soiréen! Mit dem Theater ist es vorbei“, deklamiert die Clever, um sogleich wieder Haltung anzunehmen. Träume dauern hier Sekunden, danach scheint die Innenwelt der Damen wiederhergestellt. Draußen ist nur der Geliebte der Gnädigen, der jeden Moment aus dem Gefängnis entlassen wird.

Dass die beiden Schwestern den gnädigen Herrn anonym denunziert haben, was spielt das für eine Rolle. Der Mann: eine Fiktion, eine frühere Größe. Die Herrin und ihre Zofen halten einander in Schach, wie die Untoten in Sartres „Geschlossener Gesellschaft“. Sie quälen und amüsieren einander auf Augenhöhe. Das ist das verstörend Schöne dieser Aufführung. Sie schwebt – aller Ballast ist abgeworfen – im Hier und Jetzt.

Wieder am 26. September sowie am 5., 12. und 15. Oktober.

Rüdiger Schaper

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