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Kultur: Spiel mit den Schmuddelkindern

Käthe Kruse war Teil der Band „Die Tödliche Doris“ – das prägt die Künstlerin bis heute. Ein Besuch

Berlin: Kunststadt, Boomstadt. Galerien und Messen expandieren, Sammler, Künstler und Käufer aus aller Welt kommen in die Stadt. Doch was heißt das für die Kunstproduktion? Unsere Sommerserie widmet sich den Künstlern und fragt sie danach, wie stark der Kunstmarkt ihre Arbeit beeinflusst.

Neulich sind wieder ein paar Studenten durch das Haus gerannt. Haben sich die riesige Gemeinschaftsküche mit Mobiliar aus einem ehemaligen DDR-Ministerium angeschaut und über das Modell einer sich selbst verwaltenden Genossenschaft gestaunt, die seit 20 Jahren einen ganzen Wohnblock in Kreuzberg unterhält. Und natürlich haben sie auch bei Käthe Kruse angeklopft, denn die Studenten kamen von der Akademie der Bildenden Künste in Weissensee. Und (nicht nur) für sie ist Käthe Kruse so etwas wie eine Institution.

Als „Die Tödliche Doris“ machte sie in den achtziger Jahren zusammen mit Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen Furore: eine Band aus dem akademischen Kontext, die die damals schon bröckelnden Grenzen zwischen elektronischer Musik und elitärer Kunstproduktion spielend überwand. Der eine sang, der andere spielte Gitarre, Geige oder Akkordeon, und Käthe Kruse spuckte zwischendurch immer mal wieder Feuer, weil sie das irgendwann gelernt hatte. Mit ihren selbst gedrehten Super-8-Filmen und dem innovativen Sound, einer Mixtur aus monotonem Sprechgesang und minimalistischen Melodien, tourte das Trio um die Welt. Nicht durch Clubs; stattdessen fanden die Konzerte, unter anderem auf Einladung des Goethe-Instituts, in den renommierten Museen von Paris, New York und Tokio statt.

In die frühen Achtziger fiel auch die Besetzung der maroden Häuser an der Manteuffelstraße. Erste Reparaturen, Verhandlungen über das alternative Wohnprojekt und seine Legalisierung fanden anschließend statt. 1986 waren die Mietverträge perfekt, ein Jahr später löste sich „Die Tödliche Doris“ auf. Mit der neuen Lebenssituation hatte das allerdings wenig zu tun. „Wir wurden einfach zu professionell“, sagt Käthe Kruse, die sich wie Utermöhlen und Müller einem genialen Dilettantismus verpflichtet fühlte. Wenn es dann richtig gut wird, hört man besser auf .

Doch das Erbe wirkt nach. Vor ein paar Jahren waren die Super-8-Filme der „Tödlichen Doris“ noch einmal im Arsenal-Kino zu sehen, und bis heute wird Käthe Kruse gebeten, die kurze, intensive Geschichte der Ausnahmeband anhand von Lichtbildern und Songtexten zu referieren. Kürzlich hat auch der Berliner Sender RBB in ihrem Atelier vorbeigeschaut – für eine Dokumentation über die achtziger Jahre.

Mancher käme sich wie ein Fossil vor, das permanent über seine Vergangenheit ausgeforscht wird. Käthe Kruse tut das nicht, sie blickt selbst mit großem Abstand zurück. „Außerdem haben wir die Tödliche Doris als eine Schule für verschiedene Disziplinen verstanden, mit der sich alle Felder der Kultur besetzen ließen.“ Ein offenes Konzept. Am Ende durften alle drei, von denen Nikolaus Utermöhlen 1996 an Aids gestorben ist, „Die Tödliche Doris“ mit in ihr neues Künstlerleben nehmen: als Label für ein fest umrissenes Projekt.

Käthe Kruse hat es für eine Installation aus Acrylkästen verwendet, in denen gefundene Dinge zu kleinen Skulpturen arrangiert werden. Die Arbeit wächst beständig, auch wenn im Atelier nur zwei dieser transparenten Schachteln zu sehen sind. Überhaupt erinnert hier so wenig an die wilde Berliner Vergangenheit, dass das TV-Team ein bisschen enttäuscht gewesen sein dürfte. Denn was die Käthe Kruse aus alten Zeiten hinübergerettet hat, steckt allein im Kopf: ihre Einsichten in das System und die Funktion von Kunst, die grenzüberschreitend wirkt und alle Lebensbereiche umarmt.

Deshalb liegt im Atelier ein gestreifter Wollteppich in den Farben, die auch ihre Malerei bestimmen. Daneben hängt ein Streifenbild, dessen Muster weiter über die Zimmerwand wuchert: ein Bastard, der Gemälde und Installation zugleich sein will. Solche Überlappungen sind typisch für Kruses Werk. Stoffbilder mit applizierten Motiven, Assemblagen, Konzeptuelles oder reine Wortbilder: Jede ihrer Ausstellungen in der Berliner Galerie Zwinger oder bei Hubert Bächler in Zürich, die sie beide seit langem vertreten, könnte einen anderen Autor haben. Zwar gibt es inhaltliche Fäden, doch die kann eigentlich nur zusammenführen, wer Kruses Arbeiten seit ihrem Studium an der Berliner Hochschule der Künste kennt.

Ein Experiment, das sich „innerer Notwendigkeit“ verdankt, wie sie sagt, vom Kunstmarkt allerdings nur schwer goutierbar wird. Worunter lassen sich die Videoarbeiten und Performances, die Fotografien und von der Künstlerin komponierten Stücke subsumieren oder gar verkaufen? 2002 war „Le sexe rouge“ im Hamburger Bahnhof zu sehen, ein Gesamtprojekt aus Skulpturen, Gesang und Projektionen. Dass sie im Rahmen einer Reihe namens „Musikwerke Bildender Künstler“ auftauchte, zeigt schon, wie schwer man sich mit einer Kategorisierung tut. „Wenn man so will, dann habe ich strategisch daran gearbeitet, keine Marke zu werden“, meint Käthe Kruse. Dennoch sei der Markt meist gnädig zu ihr gewesen. Auch wenn sie ihn nur bedingt wiederliebt.

Gerade schlägt das Pendel wieder einmal in Richtung Aufmerksamkeit. Vom Senat der Stadt gab es ein projektbezogenes Stipendium, und Marius Babias vom Neuen Berliner Kunstverein hat das „Alphabet des Augenblicks“ für seine nächste Ausstellung „German Angst“ reserviert:. In der dreiteiligen Arbeit von 2000 überlagern sich Worte wie Opfer, Furcht und Folter überlagern und heben sich gegenseitig in ihrer Bedeutungsschwere auf. Auch eine Performance ist geplant, vielleicht stimmt Käthe Kruse sogar ein paar alte Songs der „Tödlichen Doris“ an. Nicht weil ihr sonst nichts einfiele, sondern weil sie überzeugt davon ist, dass das Gestern in die Gegenwart ragt und es verdient, aus immer neuer Perspektive betrachtet zu werden.

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