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SPIEL Sachen: Geburt des Theaters im Krieg

Christine Wahl über das letzte Dinner der Höhlenfrau

Wer am Silvesterabend durch die Theaterlandschaft tingelt, wird die dramatische Welt nicht mehr verstehen: Alles, worüber Bühnenleute und ihre Kritiker ganzjährig laut nachdenken – möglicher Bedeutungsschwund, die Krise der Repräsentation, halb volle Zuschauerräume oder gar sperrige, das Publikum vermeintlich überfordernde Inszenierungen –, ist plötzlich Makulatur. Besucht man zum Beispiel die Brotfabrik, gewinnt man stattdessen den Eindruck, der gemeine Berliner könne gar nicht genug kriegen vom lustigen Bühnengeschehen. Die kleine Off-Spielstätte in Weißensee (Caligariplatz 1) muss ihren Silvesterklassiker Dinner for One, der immerhin seit sieben Jahren im Programm ist, am 31. Dezember ab 15 Uhr 30 fast im Stundentakt spielen, um seine Klientel zufriedenzustellen: Die letzte Vorstellung beginnt um 21 Uhr 30.

Mit einer ebenso betagten Spielplanaltlast scheint auch die Arena ordentlich zu punkten: In Treptow beendet man das Jahr mit dem 2000 von Esther Schweins inszenierten Dauerbrenner Caveman (19 Uhr 30), der das Dilemma zwischen den Geschlechtern lückenlos aus der Steinzeit herleitet. Die Aufklärungsorgie darüber, warum Frauen im Vergleich zu ihren Gatten wahrscheinlich die zehnfache Wortmenge aus sich herausholen, passt thematisch mittlerweile auch hervorragend ins Geschlechterklischee-Backlash, mit dem uns Leute wie die Ex-Nachrichtensprecherin Eva Herman, der Comedy- Proll Mario Barth oder der Regisseur Leander Haußmann (mit seinem Film „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“) bereits die letzten zwölf Monate auf mehr oder weniger freiwilligem Trab hielten.

Wer sich im alten Jahr hingegen noch einmal wirklich und unter Herausforderung seiner sämtlichen Hirnzellen im Theater verwöhnen möchte statt nur silvesterleicht-komödiantisch, der bemühe sich heute Abend dringend um eine Karte für Die Perser des Aischylos in der Regie von Dimiter Gotscheff im Deutschen Theater (19 Uhr 30). Die Aufführung, die den Stoff nicht platt aktualisierend heranzoomt, sondern so weit wie möglich ins Abstrakte öffnet und aus der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Theater heute“ als „Inszenierung des Jahres 2007“ hervorging, ist schlichtweg ein Hammer! Skeptikern, die während der letzten zwölf Monate aus irgendwelchen Gründen vergessen haben, was Theaterkunst ist, fällt es jedenfalls unter Garantie wieder ein, wenn Margit Bendokat, Almut Zilcher, Samuel Finzi und Wolfram Koch in Mark Lammerts genialem Bühnenbild – einer beweglichen gelben Wand – diese erste vollständig überlieferte Tragödie der Weltliteratur spielen!

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