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SPIEL Sachen: Mach mal mein Monster, Mama

Auf dem europäischen Theaterforum in Nizza hat Jorge Semprún gerade lakonisch konstatiert, was passionierte Bühnen-Politiker äußerst ungern hören: Als Revolutionshort tauge das Gegenwartstheater nicht so recht. Es sei eher eine Stätte der Reflexion, Kontemplation und Unterhaltung.

Auf dem europäischen Theaterforum in Nizza hat Jorge Semprún gerade lakonisch konstatiert, was passionierte Bühnen-Politiker äußerst ungern hören: Als Revolutionshort tauge das Gegenwartstheater nicht so recht. Es sei eher eine Stätte der Reflexion, Kontemplation und Unterhaltung.

Für Festivitäten wie Weihnachen, wo Familien tagelang unter Feierlichkeitszwang aufeinander hocken, könnte es sogar einen schon wieder revolutionären therapeutischen Entlastungssegen bringen. Zumal, wenn – wie im Theater an der Parkaue – unter dem Deckmantel freundlicher Märcheninszenierungen dunkle Familienabgründe ans Licht gezerrt werden. Das Kinder- und Jugendtheater in Lichtenberg wartet um die Weihnachtszeit mit einer regelrechten Märchen-Offensive zur Konfliktbewältigung auf: In Schneewittchen singt (ab 5, 20./21.12., 15 Uhr, 22.12., 11 Uhr) – einem Gastspiel der tocha compagnie – treiben Schönheitsideale eine gestandene Frau auf oberster Führungsebene zu drei Mordversuchen an ihrer attraktiven Stieftochter. Tim Krohns Variante zur Musik von Jürg Wickihalder spendiert dem bedrohten Kind eine Angstbewältigungsstrategie, die auch das Publikum erfreuen dürfte: Wann immer Schneewittchen Angst und Einsamkeitsgefühle heimsuchen, beginnt das Mädchen zu singen.

Auch in der Schneekönigin (ab 6, 21.-23./26.12., 16 Uhr) sind es der Schönheitswahn und die damit einhergehende materielle Gier, die geradewegs in die Familienkrise führen: Die kleine Sozialwohnung unterm Dach, die Kai mit seiner Schwester Gerda und der Großmutter teilt, wird für den jungen Mann auf einen Schlag inakzeptabel, als eine gut aussehende Monarchin mit teurem Pelz und anderen billigen Verführungskünsten auftaucht. Ob es Kai vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise wirklich recht ist, dass seine Schwester ihn aus dem Eispalast in die Dachbude zurückholt, sei einmal dahingestellt.

Das dritte Weihnachtsmärchen an der Parkaue – Rotkäppchen (ab 6, heute 14 Uhr, 20./22./23./29.12., 11 Uhr, 25.12., 16 Uhr sowie 27./28.12., 11 und 16 Uhr) – schert sich weniger um materielle und ästhetische Probleme als um eigenwillige innerfamiliäre Kommunikationsstrukturen. In der Version des französischen Autors und Regisseurs Joel Pommerat bittet Rotkäppchen seine Mutter, regelmäßig, das Monster zu spielen. Denn das Kind mit der ambitionierten Kopfbedeckung genießt dieses Gruselgefühl sehr. Märchenkenner wissen, wohin das letztlich führt: geradewegs in den Schlund des nicht zu Späßen aufgelegten Wolfes. Und Kontemplationsgenießer können sich in aller Ruhe anschauen, wie die Park auen-Crew da wieder rauskommt.

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