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Kultur: Spiel, Satz, Krieg

Noah Baumbachs Ehe- und Familiendrama „Der Tintenfisch und der Wal“

Ein Tennis-Doppel: hier der Vater und der 16-jährige Walt, dort die Mutter mit dem 12-jährigen Frank. Ein hitziges Match. Der Vater flucht, die Mutter rüffelt. Er zielt beim Schmetterball direkt auf ihren Körper. Die Ehe: Spiel, Satz und Krieg. Oder auch jenes Schauspiel, das Walt eines späteren Tages im New Yorker Naturkundemuseum betrachtet: Ein Tintenfisch und ein Wal sind völlig ineinander verbissen. Nur: Wer ist das Opfer, wer das Raubtier?

Der Tennis-Einstieg mag dramatisch, das Schlusstableau recht rau geraten sein – Noah Baumbachs „Der Tintenfisch und der Wal“ ist ein Film der mittleren Tonlagen, der das heikle Thema Scheidung mit viel Sinn und Verstand und angenehm trockenem Humor angeht. Hinzu kommen herausragende Darsteller: Jeff Daniels spielt den verkrachten, vollbärtigen Autor Bernard Berkman, der sich als Familien-Zampano geriert und seine Söhne mit intellektuellen Platitüden nervt. Seit Michael Douglas durch „Wonderboys“ gegeistert ist, hat es keinen wunderlicheren – und widerlicheren Schriftsteller – mehr gegeben. Und dennoch erliegt man seiner eigentümlichen Faszination.

Ihm gegenüber steht Joan (Laura Linney): bleiche Mutter mit Mittelscheitel, die anfangs als Opfer dasteht. Andererseits hat sie, was den Gockel von Ehemann natürlich kränkt, soeben im „New Yorker“ einen Auszug ihres ersten Romans veröffentlicht – und hat sich im Übrigen ausgerechnet mit Franks Tennislehrer (William Baldwin) liiert.

„Der Tintenfisch und der Wal“ – der Titel suggeriert ein Märchen oder wenigstens ein Gleichnis. Doch Noah Baumbach hält lieber direkt auf die Schürfwunden des Alltags in Brooklyn. Mit teils schmerzhaft direktem Blick: Einmal entwindet sich Walt der Hand seiner Freundin, als eine hübsche Klassenkameradin vorübergeht – und leugnet den Zusammenhang dann auch noch. Ein andermal reibt Frank sein Glied an einem Bibliotheksregal und schmiert den Samen über die Bücherrücken. Oder: Als Vater und Sohn sich beim Tischtennis verbissen gegenüberstehen, hält Bernard den Schläger mit Beschichtung in der Hand, während sich Frank mit einem Holzteil begnügen muss. Wo der Scheidungs-Klassiker „Kramer gegen Kramer“ noch heftig im Melodram wühlte, setzt Baumbach eher aufs genau beobachtete Detail – eher Kammerkonzert als Symphonie, mehr Novelle als Roman.

Das zeigt sich auch im Dekor. Der Film spielt in den Achtzigerjahren, aber kommt in seinen Bildern alles andere als schultergepolstert oder zurückgegelt daher. Allerdings begeht er dabei ein paar anachronistische Schludrigkeiten. 1986 spielte niemand mehr mit Holzschlägern Tennis; und Fan von Guillermo Vilas war man zu Zeiten von Becker und Lendl wohl auch nicht mehr. Und für ein period piece stehen arg viele Autos im Bild herum, die mindestens 15 Jahre später gebaut wurden. Aber das sind Peanuts – in einem immer wieder großartigen Film.

Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Cinestar SonyCenter (OV)

Julian Hanich

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