zum Hauptinhalt
Bewegungen, Berührungen. Szene aus dem Film „Tanz Träume“. Foto: Realfictionfilme

© dpa

Kultur: Spiel und Scheu

Auf eine nie beabsichtigte Weise trifft dieser Film auch ins Herz einer nur scheinbar fernliegenden Debatte. Was bedeuten Nähe und sogar körperliche Berührungen unter Schülern und zwischen Schülern und Lehrern?

Auf eine nie beabsichtigte Weise trifft dieser Film auch ins Herz einer nur scheinbar fernliegenden Debatte. Was bedeuten Nähe und sogar körperliche Berührungen unter Schülern und zwischen Schülern und Lehrern? Wie kann es da fühlbare, einfühlsame Zuneigung geben ohne jede Zudringlichkeit, Überwältigung und gar Machtmissbrauch? Die Filmdokumentation „Tanz Träume – Jugendliche tanzen Kontakthof von Pina Bausch“ ist darauf eine so kluge wie sinnliche Antwort.

Anne Linsel und ihr Kameramann Rainer Hoffmann haben im Jahr 2008 über Monate hinweg beobachtet, wie etwa 50 Wuppertaler Schüler im Alter zwischen 14 und 18 „Kontakthof“ probiert haben. Die ironische Anspielung auf die Begegnungsräume damaliger „Eroscenter“ war der Titel eines weltberühmt gewordenen Tanztheaterstücks, in dem die Wuppertaler Choreografin Pina Bausch genau 30 Jahre zuvor die Rituale der Anmache und Abstoßung, des Flirts, der Sehnsüchte und Angeberei, der Verführung und des Verfehlens zwischen Mann und Frau zu einem tänzerischen, musiktheatralischen Panoptikum gemacht hatte. Grandios und kurios, so fantastisch realistisch wie grotesk tragikomisch.

Im Jahr 2000 gab es dann eine Variation des „Kontakthofs“ mit nicht professionellen „Damen und Herren über 65“, und hier nun der zweite Versuch mit Laien: diesmal mit Teenagern aus Haupt- und Realschulen, aus Gymnasien, mit Kindern aus allen, vielfach migrantischen Schichten. Von „Kindern“ und ihrer ebenso zu respektierenden wie bewusst mitspielenden „Scheuheit“ spricht immer wieder auch Pina Bauschs große Protagonistin Jo Ann Endicott, die schon vor 30 Jahren die Uraufführung von „Kontakthof“ getanzt und nun mit Bénédicte Billiet die Proben geleitet hat. Endicott reflektiert in kurzen Zwischenstatements diese Herausforderung, Nähe zu wagen und zugleich Distanz zu wahren.

Nicht weniger offen sprechen auch die Mädchen und Jungen über ihre Befangenheit, einander als Akteure plötzlich eng, zärtlich, gewalttätig berühren zu sollen. Was dann auf der Bühne (und im Film) gelingt, ist eine wunderbare, witzige, anrührende Demonstration vollkommen diskreter Entblößung, Begegnung, Erfahrung. Ähnlich wie in der Berliner Erfolgs-Doku „Rhythm is it“ erlebt der Zuschauer mit, wie die Jugendlichen über Kämpfe und Krämpfe hinweg allmählich tänzerisch-spielerisch ein größeres, sichereres Körpergefühl und damit auch Selbstbewusstsein erreichen. Und dazu, wenige Monate vor ihrem unerwarteten Tod: Pina Bausch. Bei den gelegentlichen Probenbesuchen ihren melancholischen Humor, ihre scharf beobachtende Präsenz und ihre undivenhafte, aber bis in die tanzenden Fingerspitzen königliche Grazie noch einmal aus der Nähe zu erleben, macht diesen Film allein schon sehenswert.

Im: Broadway, Delphi, Filmtheater am Friedrichshain, fsk, Hackesche Höfe

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false