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SPIEL Sachen: Herz auf die Hand

Das Theater nimmt gern für sich in Anspruch, ein gesellschaftlich relevantes Medium zu sein. Aber im Gegensatz zu Versuchen über die Finanzkrise oder den iPod haben die modernen Naturwissenschaften, etwa die Gentechnik, erst spärlich Eingang gefunden ins dramatische Repertoire.

Das Theater nimmt gern für sich in Anspruch, ein gesellschaftlich relevantes Medium zu sein. Aber im Gegensatz zu Versuchen über die Finanzkrise oder den iPod haben die modernen Naturwissenschaften, etwa die Gentechnik, erst spärlich Eingang gefunden ins dramatische Repertoire. Am liebsten – und oft auch recht plausibel – werden Ethik und Moral nach wie vor anhand zeitloser Kanon-Klassiker von Aischylos über Shakespeare bis Schiller verhandelt.

Wissenschaftsdramen wie Caryl Churchills „Die Kopien“ 2003 an der Schaubühne bleiben die Ausnahme: Dort steht der Mittdreißiger Bernard bei einer Untersuchung im Krankenhaus plötzlich lauter Leuten gegenüber, die haargenau aussehen wie er selbst, und muss sich lästigen Identitätsfragen stellen. Das English Theatre in Kreuzberg (Fidicinstraße 40) hat dieses Gegenwartsstück 2010 nicht nur im englischen Original herausgebracht. Mit Churchills „A Number“ startete es auch ein Kooperationsprojekt mit dem Institut für Biologie der Freien Universität Berlin: Unter dem Motto „Science and Theatre“ sollen Künste und Wissenschaft einander folgenreich befruchten.

Kommenden Dienstag geht die Initiative mit der Premiere von Shelagh Stephensons „An Experiment with an Air Pump“ in die zweite Runde. Das Stück diskutiert die ethischen Grenzen der Naturwissenschaft in zwei verschiedenen Epochen. Einmal wird die Familie Fenwick, die Tür an Tür mit Ellen und Tom lebt, ins Jahr 1799 zurückgebeamt: Der Hausherr steigert sich in naturwissenschaftliche Experimente hinein, während vor der Tür eine Meute rebelliert und sein Assistent der Haushälterin nachsteigt. Die zweite Ebene spielt 1999: Tom ist arbeitslos; und die Genetikerin Ellen hat moralische Skrupel wegen eines Jobangebots. Unter der Regie von Günther Grosser verspricht das English Theatre 15 Abende lang (8.–11.2., 15.–19.2. & 22.–27.2.) ein „Sozialdrama, ein Wissenschaftsstück und einen Thriller“ in einem. Auf die nötige Sachkompetenz kann man sich dabei verlassen: Die wissenschaftlichen Hintergründe wurden von Studierenden und Nachwuchsforschern der FU erarbeitet. Mit der Mikrobiologie-Professorin Regine Hengge diskutierten sie die wissenschaftsethischen Fragen im Seminar und gaben anschließend die dramaturgische Marschroute für die Inszenierung vor.

In einem weniger wissenschaftlichen Sinn, dafür erfrischend politisch unkorrekt, werden moderne Aspekte von Medizin heute um 20 Uhr auch am Ballhaus Ost verhandelt. Die polnische Regisseurin Elzbieta Bednarska bringt das Stück „Nacht“ ihres Landsmannes Andrzej Stasiuk auf die Bühne, in dem ein polnischer Dieb bei einem Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in Deutschland von dessen Besitzer erschossen wird. Der hat schon bald ein schwerwiegendes Problem: Er braucht ein neues Herz – und das Transplantat stammt ausgerechnet von besagtem Juwelen-Räuber. Auch eine Art, Ethik und Moral im Zeitalter der wachsenden medizinischen Möglichkeiten aufs Tapet zu bringen!

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